Sarah Haywood: Der Kaktus

Aehnlich den Kakteen, die sie im Büro und daheim hegt und pflegt, hat sich die Mittvierzigerin Susan Green Stacheln zugelegt, um jegliche Annäherung von Mitmenschen privat und im Geschäft zu erschweren oder im Idealfall zu verhindern. Sie hat ihre Prinzipien und ist dementsprechend konsequent, wenn nicht sogar stur. Sie liebt das Gefühl, ihr Leben im Griff zu haben. Und sie ist völlig ungeplant (zum ersten Mal) schwanger.

Die Schwangerschaft ist das Resultat der langjährigen, klar definierte Freundschaft-Plus-Beziehung mit Richard, die sich mehrheitlich auf gemeinsame kulturelle Unternehmungen am Mittwoch und anschliessendem Abschluss des Treffens im Hotelzimmer beschränkt. Da beide ähnlich ticken und die eigene Unabhängigkeit über alles andere stellen, bedient dieses schriftlich festgelegte Arrangement ihrer beiden Bedürfnisse perfekt. Für Susan steht rasch fest, dass Richard in ihrem künftigen Leben keine Rolle mehr spielen soll, deshalb kündigt die werdende Mutter die langjährige Freundschaft.

Nach dem ersten Schrecken freut sich Susan auf das Kind und ist überzeugt, diese Herausforderung problemlos zu managen. Doch nicht nur diese Schwangerschaft stellt Susans Leben gerade auf den Kopf. Ihre Mutter stirbt und Susan erfährt, dass ihr Bruder Edward laut Testament lebenslänglich mietfrei im elterlichen Reihenhaus wohnen bleiben darf. Sie ist überzeugt, dass dieser letzte Wille nicht den Wünschen der Mutter entspricht und unter Druck zustande kam. Sie kann und will dieses Testament nicht akzeptieren. Gerade jetzt als künftige alleinerziehende Mutter kann sie jegliche finanzielle Unterstützung gut gebrauchen. Dank ihrem Jura-Studium fällt es Susan nicht schwer, Einsprache zu erheben. Diese untermauert sie mit eindeutigen Beweisen, welche eine fortgeschrittene Demenzerkrankung ihrer Mutter im Zeitpunkt der Testamentverfassung belegen.

Susan ist keine Frau, die man sofort ins Herz schliesst. Etwas verstörend fand ich etwa zu lesen, dass sie das Gefäss mit der Asche ihrer Mutter als Fussschemel und Türstopper verwendet. Als Mutter von erwachsenen Kindern habe ich oft innerlich den Kopf geschüttelt, wenn die nicht mehr ganz junge Miss Green glaubt, ein Kind bringe keine einschneidenden Veränderungen mit sich, und der Familienzuwachs lasse sich problemlos managen. Bis zu Susans Erkenntnis, dass ihre Theorie zu Kindern herzlich wenig mit der Praxis zu tun hat, beschleicht einem der eine oder andere Zweifel und zuweilen etwas Mitleid mit dem heranwachsenden Baby. Doch irgendwann beginnt die Leserin tatsächlich, Susan zu mögen und vertraut auf deren Mutterinstinkt. Und zwar spätestens dann, als die werdende Mutter begreift, dass ihre Sicht auf die Kindheit stimmen mag, die Perspektive des Bruders deswegen aber nicht falsch sein muss, auch wenn er die gleichen Erlebnisse völlig anders empfindet oder als sie ihre Meinung zu Richard und seiner Beziehung zum Kind nochmals überdenkt.

Edwards Kollege Rob versucht zunächst erfolglos zwischen den beiden Geschwistern und in deren schwieriger Beziehung zu vermitteln. Rob ist als Gartendesigner und Landschaftsgärtner auch für das hortikulturelle Element neben den Kakteen in diesem Roman verantwortlich. Er führt Susan in seinen «Wallfahrtsort» Kew Garden und brilliert vor ihr mit seinem Fachwissen über Kakteen – was sie beeindruckt, aber gleichzeitig nervt. Schliesslich gedeihen ihre stachligen Lieblinge hervorragend, auch wenn sie bis anhin noch nie geblüht haben. Wenn Rob sie zuweilen mit todlangweiligen Details von seinen Gartenbesuchen mitunter auch langweilt, schätzt Susan ihn doch und er entwickelt sich zu einem zuverlässigen Freund, auf den sie jederzeit zählen kann.

Die Aufdeckung eines Familiengeheimnisses ist für Susan eine weitere Erschütterung, rückt aber auch vieles aus der Vergangenheit in ein anderes, ein richtiges Licht, auch die Fussschemel-Geschichte. Dies ist tatsächlich schon wieder ein Roman, dessen Titel eine banale Lektüre erwarten lässt, mich aber positiv überrascht und immer wieder zum Nachdenken angeregt hat. Übrigens wird der Roman mit Reese Witherspoon in der Hauptrolle verfilmt und erscheint laut Webseite der Autorin demnächst als Neflix Original-Film.

 

Sarah Haywood:

Der Kaktus – Wie Miss Green zu küssen lernte

Pendo Verlag, 2018

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

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