Sandra Rutschi: Im Schrebergarten

Der eher enttäuschende Ausflug an die Buch Basel 2011 (trotz Vergrösserung doch immer noch sehr klein …) fand durch die Entdeckung des Buches „Im Schrebergarten“ von Sandra Rutschi in einer gut sortierten Buchhandlung doch noch einen versöhnlichen, ja perfekten Abschluss. Es ist doch immer wieder schön, wenn sich in Buchläden gleich zwischen den grossformatigen Bildbänden und Titeln für Gartenanfänger auch Romane finden lassen, die thematisch ausgezeichnet in den Sofagarten passen! Dies gilt umso mehr, wenn es sich um einen dermassen spannend geschriebenes Erstlingswerk handelt wie dieses, das die jüngere Geschichte der Schweiz um die Unabhängigkeit des Juras vom Kanton Bern in ein hortikulturelles Umfeld bettet oder beetet. Zum Inhalt:

Die 44jährige Anna Gerber ist Mutter von drei erwachsenen Kinden und passionierte Schrebergärtnerin. In ihrer langjährigen Ehe ist die Leidenschaft längst einer Gleichgültigkeit gewichen und sie und ihr Mann Paul bilden inzwischen hauptsächlich eine Zweckgemeinschaft. Anna stellt sich immer wieder die Frage, was sie beide überhaupt noch verbindet. Im Garten hingegen ist ihre Welt in Ordnung, meistens jedenfalls. Da gibt es nur sie und die Natur. So bemerkt sie denn im Frühling 1964 auch sofort, dass im lange vernachlässigten Häuschen auf der Nachbarsparzelle jemand eingezogen ist, der anscheinend nicht gesehen werden will.

Beim Neuzuzüger handelt es sich um den jungen jurassichen Unabhängigkeitskämpfer Pierre Bergier, der sich unter dem Namen Jean-Luc Montavon im Schrebergarten vor der Polizei versteckt. Nach einer ersten eher peinlichen Begegnung stellen sich der untergetauchte Medizinstudent und die Mittvierzigerin vor, wobei Jean-Luc die wahren Beweggründe für seinen Aufenthalt im Schrebergartenareal verschweigt. In der Folge treffen sich die beiden an den Werktagen auf einer Bank an der Aare und reden stundenlang miteinander. Sie spricht über ihre Familie, den Garten und übers Stricken, er über sein Studium und sein Heimweh nach Familie und Freunden. Annas Leben wird plötzlich kompliziert, als sie erfährt, wer Jean-Luc wirklich ist, zu welchen Taten er bereit ist, um seine Gesinnung zu verteidigen und als sich zwischen den beiden eine intime Beziehung entwickelt.

„Der Franzose hat sie umgebracht“. Dieser Satz ist alles, was die Journalistin Katja Schild über den rätselhaften Tod ihrer Grossmutter Anna Gerber weiss, die sie nie kennengelernt hat. Sie arbeitet für eine Berner Tageszeitung und fast ein halbes Jahrhundert nach dem Ableben von Anna Gerber gehört das Jura-Dossier seit kurzem eher unfreiwillig zu Katjas Zuständigkeitsgebiet. Ihr Interesse gilt aber je länger je mehr der Aufklärung der Umstände, die zum Tod ihrer Grossmutter geführt haben. Ist diese tatsächlich von einem unbekannten Franzosen ermordet worden?

Zeitgleich kehrt der seit zwei Jahren verwitwete Pierre Bergier nach einer zufälligen Begegnung, die alte längst verdrängte Erinnerungen in ihm geweckt hat, in den Schrebergarten zurück. Jahrzehntelang hat er nicht mehr an Anna gedacht, wusste schon fast nicht mehr, ob er sich die Liebschaft mit der älteren Frau nur eingebildet hat. Doch die intensiven Gespräche an der Aare mit der Bernerin Anna haben den Jurassier nachhaltig geprägt. Anna wie auch seine spätere Ehefrau Claudia aus Bern haben ihn nicht nur in Erklärungsnotstand in der Wahl seiner Mittel zum Zweck der Erreichung der jurassischen Unabhängigkeit gebracht, sondern auch dazu, seine Überzeugungen grundsätzlich zu hinterfragen. So sehr, dass Bern schliesslich für den im Jura hernach als Verräter geltenden Freiheitskämpfer schon lange zu seiner zweiten Heimat geworden ist.

Während Katja sich ins Jura-Dossier einarbeitet und gleichzeitig versucht, das Familiengeheimnis zu lüften, möchte man ihr immer wieder „dranebliebe“ zurufen und „bleib hartnäckig“. Denn immer wieder verpasst sie den Franzosen nur ganz knapp. Der Roman wird in zwei Erzählsträngen geschildert und die Autorin versteht es geschickt, Spannung aufzubauen und zu halten. Gleichzeitig habe ich den Einblick in die Journalistentätigkeit und in die jüngere Schweizer Geschichte geschätzt. Ich weiss jetzt (wieder) etwas mehr über den jüngsten Kanton als die nunmehr schemenhafte Erinnerung, dass ich mir seinerzeit in der Schule plötzlich einen neuen Kanton einprägen musste. Der Buchpreis liegt für mein Empfinden an der oberen Schmerzgrenze – aber ein
Klein(st)verlag muss nun mal anders kalkulieren als ein Grosskonzern. Unbedingt lesen!

Sandra Rutschi:
Im Schrebergarten
Nydegg Verlag, 2011

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