Sehr wenige der vielen Bücher, die ich lese, fallen unter das Genre «Dystopie». Auf die in der Zukunft spielende Erzählung «Das Gewächshaus am Rand der Kuppel», bin ich beim Suchen nach unterhaltsamer Lektüre zum Thema Gewächshaus gestossen. Ich habe nämlich vor einiger Zeit auf der Kanalinsel Guernsey etliche Lost Place-Fotos von verlassenen Gewächshäusern gemacht und fand es schade, keine pendente Buchvorstellung in petto zu haben, zu welchen diese Bilder verwendet werden könnten. Et voilà – da passte es doch ausgezeichnet, dass just in der Woche der Entstehung der Fotos dieses E-Book erschienen ist. So zieren nun auf Instagram Fotos von verlotterten gradlinigen Gewächshäusern aus der Vergangenheit meine Buchvorstellung über ein elegant geschwungenes Gewächshaus in der Zukunft.
Auf die fotogenen Gewächshäuser sind wir übrigens zufällig gestossen. Eigentlich waren wir im Norden der Insel zu Fuss unterwegs auf der Suche nach einem Wildorchideenfeld. Jenes haben wir nicht gefunden oder knapp verpasst, dafür haben wir tolle Fotomotive angetroffen, auf die wir sonst wohl nicht gestossen wären. Welche Pflanzen in den teilweise riesigen Glashäusern wohl einst gezüchtet oder angezogen worden sind? Meine Internetrecherchen waren nicht sehr ergiebig. Es gab wohl mehrere Gründe, warum die Anzucht von Tomaten und Schnittblumen auf der Kanalinsel zwischen Frankreich und England nicht mehr rentierte. Einerseits die günstiger produzierende niederländische Konkurrenz und andererseits die nicht vorhergesehenen, unbeabsichtigten Auswirkungen des Schliessens einer Mehrwertsteuer-Gesetzeslücke.
Effizienz und Rentabilität ist auch ein Kernthema in der Dystopie «Das Gewächshaus am Rand der Kuppel». Rund 8’000 Kilometer liegen zwischen Guernsey und dem New Eden Biodome im früheren Oregon. Die einst üppigen Landschaften sind verwüstet, die Flüsse vergiftet und die Städte unter Meeren verschwunden. Auch sechzig Jahre nach dem grossen Kollaps auf der Erde ist ausserhalb des Biodomes ein Leben in Kälte und Staub nicht möglich. Einzig in Kuppeln können Menschen leben, im New Eden Biodome sind es deren fünfzigtausend.
Die Wissenschaftlerin Elara Voss hat die letzten vierzehn Jahre bei Synthetic Atmospheres Corp. an der Optimierung von Pflanzen mitgearbeitet. Mit exakt berechneten Dosen synthetischer Nährlösungen und künstlicher Beleuchtung werden die für nützlich befundenen Pflanzen auf Effizienz getrimmt. Grünzeug, das die hohen Kriterien nicht erfüllt, wird gnadenlos aussortiert. Auch die Kuppelbewohner müssen Selektionen über sich ergehen lassen; natürlich sind nicht alle Prozedere allgemein bekannt. Der Chef des Konzerns befiehlt über patentierte Pflanzen und Maschinen, hat aber auch keinerlei Skrupel, beim Homo sapiens die gleichen Massstäbe anzuwenden. Und zwar im Namen der Menschheit, die sonst untergeht. Menschen stören nämlich die Perfektion.
Die kürzlich verstorbene Botanikerin und Revolutionärin Nakamura hat während den letzten Jahrzehnten unermüdlich zum Thema Terraforming geforscht. Sie hat Pflanzen gezüchtet, welche die zerstörte Erde heilen oder die entsprechenden Prozesse unterstützen und beschleunigen sollen, und war aktiv in einem Netzwerk gegen die riesige Macht der grossen Konzerne. Nakamura hat ihre Ergebnisse teilweise mit einigen wenigen Verbündeten geteilt, aber längst nicht so offen, wie es die augenfällige Biodiversität auf ihrem Land ist. Obschon Elara nicht weiss, was genau das Vermächtnis ihrer Grossmutter umfasst und welche Verantwortung damit verbunden ist, muss sie sich schnell entscheiden zwischen bleiben oder verkaufen, Chaos oder Effizienz und Vergangenheit oder Zukunft.
Im Gewächshaus der Grossmutter dürfen sämtliche Pflanzen uneingeschränkt wachsen. Die Rede ist von verwilderten Rosen und trotzigen Orchideen. Zum ersten Mal in ihrem Leben darf Elara das Labor ihrer Grossmutter betreten und wird von einer Vertrauten der Verstorbenen in deren Geheimnisse und Widerstandstätigkeit gegen die Konzerne eingeweiht. Elara erfährt vom Netzwerk mit Verbündeten in der ganzen Welt, etwa in den Kuppeln von Hamburg, Tokio oder Neu-Lagos. Und sie lernt Rai und dessen sechsjährige Tochter kennen. Der verwitwete Rai ist seit über dreissig Jahren für die Wasserleitungen im Gewächshaus verantwortlich und kennt jedes Rohr, jedes Ventil und alle möglichen Wege des Wassers. Kiras besondere Fähigkeiten liegen darin, dass sie mit Pflanzen kommunizieren kann, denn sie gehört zu einer Generation Kinder an, die nach dem grossen Kollaps geboren worden ist. Gewissermassen eine Art Homo Botanicus, die in einer Welt voll mächtiger Konzern als Abnormität betrachtet wird.
Die Kompetenzen von Elara, Rai, Kim und weiterer Verbündeter werden von den Konzernen mit immer mehr zunächst versteckten und später offenen Sabotageakten zerschlagen. Können die Hoffnungs- und Kommunikationssamen von Dr. Nakamura ihre Zwecke erfüllen oder war das Ziel nicht einfach in den Kuppeln zu überleben, sondern in eine offene lebenswerte Welt zurückzukehren ganz einfach zu gross?
Etwas unglücklich fand ich die grosse Ähnlichkeit der Namen von Elara und Elena für zwei wichtige Personen in der Erzählung. Auch kommen im Text kommen wiederholt sehr merkwürdige Satzstellungen vor, die den Lesefluss behindern. Sind diese Hürden erfolgreich umwunden, erwartet die Leserin ein versöhnliches Ende.
Split-ink-stories:
Das Gewächshaus am Rand der Kuppel
Eigenverlag, 2025
Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.