Maury Avril: Noch fünfzig Sommer mehr

Eleni hat bei Ihren Grosseltern eine schöne Kindheit am Meer verbracht. Sie war in eine Clique integriert und fühlte sich wohl unter ihren Freundinnen und Freunden. Kurz vor ihrer Volljährigkeit ist ihre heile Welt nach einer Tragödie zusammengebrochen, woraufhin sie sich jahrelang in ihr Häuschen zurückgezogen hat. Sieben Jahre lang hat sie sich von der Umwelt abgekapselt, nachdem Grossvater und Grossmutter gestorben sind. Ihren Lebensunterhalt hat die junge Frau mit dem Schreiben von Reiseberichten für Zeitschriften verdient. Reisen, die sie nie unternommen, sondern ausführlich aus verschiedenen Quellen recherchiert hat.

Am Todestag ihrer Grossmutter streut Eleni jedes Jahr Blüten, die sie in den Monaten zuvor gesammelt und getrocknet hat, in deren Lieblingsbucht ins Meer. Dabei wird sie von einem jungen Mann beobachtet. Mit dieser Begegnung hält das Glück nochmals Einzug in Elenis Leben. Théo erobert ihr Herz im Sturm und sie lässt sich von seiner Lebensfreude und Lebenslust mitreissen. Mit seiner Hilfe ist der ehemalige Garten der Grosseltern wieder in den Zaubergarten verwandelt worden, den er einst war. Die beiden jungen Leute sind sehr unterschiedlich. Théo führt ein Café und liebt den Kontakt zu Menschen über alles, während Eleni soziale Kontakte, wenn immer möglich, vermeidet.

Die Zeit mit Théo ist intensiv an Erlebnissen und Gefühlen. Auch wenn die traurigen Momente nicht ganz aus Elenis Leben verschwinden und sie immer wieder mal einholen, kann sie auf Théos Unterstützung zählen. Sie ist in dieser Beziehung so glücklich wie noch nie in ihrem Erwachsenenleben. Umso schlimmer trifft es Eleni, als Théo für sie völlig unerwartet an einer Hirnblutung stirbt. Erneut verkriecht sie sich in ihrem Daheim. Lebensmittel lässt sie sich vor die Haustüre liefern und den Garten lässt sie wieder verwildern. Mit Ende zwanzig dominieren Ängste ihr Leben und einzig ein Kaninchen namens Anemone leistet ihr Gesellschaft.

Plötzlich entdeckt Eleni beim Blick durchs Fenster im Garten einen Topf mit einer Sommeranemone und einen Brief mit Pflegeanleitung. Es bleibt nicht bei dieser einen Botschaft. Weitere Pflanzen in Töpfen und Briefe finden den Weg in Elenis vernachlässigten Garten. Sie schöpft Kraft und bringt es fertig, ihre Lethargie zu überwinden und die vier schützenden Wände zu verlassen. Selbst wenn der Garten vollkommen verwildert ist, sind die ihm eigenen Düfte nach Erde, Kiefern und Harz noch da. Eleni pflanzt die grünen Geschenke in den Garten. Bald spriesst in den Gemüse- und Kräuterbeeten der Salatnachschub. Lavendel, Rosen und Margeriten blühen wieder um die Wette. Und während Eleni sich wieder vermehrt um das Grünzeug rund ums Haus kümmert, wächst in ihr der Wunsch zu erfahren, wer der Absender der Gaben ist. Sowohl die Briefe als auch die Pflanzengeschenke nehmen Bezug auf ihre persönliche Vergangenheit und enthalten Details aus ihrer Kindheit und Jugend, aber auch aus der Zeit mit Théo.

Eines Tages entwischt das Kaninchen Anemone aus dem Garten. Eleni läuft ihm hinterher und verliert es aus den Augen, als es ihm Wald verschwindet. Die verzweifelte Suche führt die junge Frau immer tiefer in den Forst, weiter weg vom Zuhause, als sie seit Théos Tod je war.

Und dann ist da plötzlich wieder Pierre, Elenis Jugendliebe, an die sie sich seit vielen Jahren jeden Gedanken verbietet. Nach der Tragödie um ihren Grossvater hat sie jeglichen Kontakt mit Pierre abgebrochen und ihn seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Die Erinnerungen schmerzen immer noch heftig, doch Eleni muss sich eingestehen, dass sie ihn vermisst und sie nicht die Einzige ist, die mit den Folgen der Tragödie um die Todesfälle ihrer Grosseltern gelitten hat und immer noch leidet. Kann, will sie sich ihren Ängsten endlich stellen? Hat Eleni vielleicht doch noch ein Recht auf Träume und ein Leben mit einer gewissen Leichtigkeit?

«Noch fünfzig Sommer mehr» ist ein traurig schönes Buch voller Poesie, Hoffnung, kombiniert mit einem erheblichen hortikulturellen Hintergrund. Kapitel in der Gegenwart wechseln mit Rückblicken in die Jugendjahre mit Pierre und in die viel zu kurze gemeinsame Zeit mit Théo ab. Die Identität des Blumenboten kann von der Leserin vermutet, aber nicht in ihren ganzen Zusammenhängen vorausgesehen werden.

Störend dünkte mich einzig die inflationäre Verwendung des Verbs «grinsen» bis etwa zur Hälfte des Buches. Grinsen ist für mich eher negativ (verächtlich, schadenfroh, böse) behaftet und wiederholt fand ich das Verb unpassend benutzt.

 

 

Maury Avril:
Noch fünfzig Sommer mehr
Ullstein Verlag, 2025

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

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