Der dreissigjährigen Künstlerin Iris ist nichts in den Schoss gelegt worden. Ohne familiäre finanzielle Unterstützung hat sie es geschafft, dass ihre besonderen Blumenmädchen-Bilder in einer Bostoner Galerie ausgestellt werden. Viele Jahre hat sie gekellnert, sich in jeder freien Minute mit ihren Maltechniken auseinandergesetzt und Bilder nach Auftrag gemalt. Nun scheint Iris eine Nische gefunden zu haben, die sie sowohl selber künstlerisch zufrieden stellt und gleichzeitig Geld einbringt
Schon während dem Schulunterricht hat Iris Blumen in ihr Rechenheft gezeichnet, statt dass sie Mathe-Aufgaben gelöst hat. Ihre Lieblingsmotive waren Iris und Veilchen sowie Mohnblumen, Gänseblümchen und Astern. Ab und zu auch Lilien. Die talentierte Malerin ist nämlich in eine Familie geboren worden, in der alle Mädchen Blumennamen tragen. Ihre Schwester heisst Violet, die drei Cousinen Poppy, Daisy und Aster. Iris meist durch Abwesenheit glänzende Mutter heisst Lily. Die Blumennamen wurden von Grandma June initiiert, die während vielen Jahren in Boston erfolgreich den Blumenladen «June’s Flowers» geführt hat und ihrer Liebe zur Botanik mit der Namensgebung ihrer Töchter gekrönt hat. Junes Töchter Lily und Dahlia haben daraus eine Tradition gemacht und so heissen alle fünf Enkelinnen wie Blumen.
Besonders zu Iris und Violet hat die mittlerweile sechsundsiebzigjährige Grandma June eine sehr enge Bindung. Die beiden Mädchen sind nämlich bei Ihr aufgewachsen, nachdem sie von der eigenen Mutter nach Jahren der Vernachlässigung einfach von ihr verlassen worden sind. Im Blumenladen haben die beiden Mädchen ihre eigene Liebe zum Floralen entdeckt, welche Violet mit dem Kreieren von Blumengestecken und -sträussen auslebt, während Iris mit dem Pinsel Blumen malt. Auch privat ist Iris glücklich. Sie lebt mit ihrer grossen Liebe Tristan zusammen und hat in Mia seit neunzehn Jahren eine Freundin, mit der sie Freud und Leid teilt und die auch von Iris› Familie wie eine enge Verwandte wahrgenommen wird.
Erst vor ein paar Wochen hat Grandma June ihren Blumenladen in die Hände einer Enkelin gelegt und ist auf die Insel Martha’s Vineyard gezogen, um es mit Mitte siebzig endlich etwas ruhiger anzugehen. Nach der erfolgreichen Vernissage der Blumenmädchenbilder ist ein Frauenwochenende geplant. Alle fünf Enkelinnen fahren für ein Wochenende auf die Insel zur Grossmutter. Nur Mia muss passen, da sie einen wichtigen Innendekorationsaufttrag abschliessen muss, und ist deshalb nur online dabei.
Nach einem grossartigen Wochenende auf Martha’s Vineyard fährt Iris nach Boston zurück. Nicht ahnend, dass ihre scheinbar perfekte Welt in Kürze unwiederbringlich zusammenbricht. Die zunächst streckenweise banalen Stellen zu Beginn des Romans, werden in der Folge abgelöst durch die emotional geschilderte Verarbeitung einer Tragödie. Stichworte dazu sind Streit, Vorwürfe, Schuld, Reflektion. Die Phase der Blumenmädchenbilder ist endgültig vorbei. Doch kann, darf Iris irgendwann wieder Freude empfinden und mit dem Pinsel neue Kunstwerke schaffen?
Neben den blumigen Motiven auf Leinwänden und den floralen Namen, wird gelegentlich auf den schönen Garten von June hingewiesen, in dem Geophyten wie Narzissen und Krokusse um die Wette blühen und ab und zu auch gegärtnert. So wird eine Lieferung an Containerrosen in die Erde gebracht und die Pflanzung detailliert geschildert. Einem tränenden Herz hat die Autorin die Rolle eines Wendepunkts im Roman zugeordnet und ich habe festgestellt, dass diese zarte Staude botanisch gar nicht mehr Dicentra spectabilis heisst, sondern Lamprocapnos spectabilis. «Blumenmeere» ist Band eins der Coastlines-Trilogie, deren Fortsetzungen zu späteren Zeitpunkten erscheinen.
Manuela Inusa:
Blumenmeere (Coastlines 1)
Heyne Verlag, 2025
Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.