Susanne Herbst: Der vergessene Garten

Der Botanik gilt Astrid Krämers Leidenschaft. Seit ihrem Ruhestand hat sich daraus eine Art Besessenheit entwickelt und gewissermassen ihr ganzes Handeln und Denken dreht sich um ihren grossen gepflegten Garten. Die rüstige Rentnerin ist eine dermassen wichtige Kundin des lokalen Gartencenters, dass sie für ihre Bestellungen von Pflanzen und Düngern nicht mal ihre Rabatten verlassen muss, sondern gerne ein Angestellter diese direkt in ihrem grünen Reich entgegennimmt. Ein Vorteil dieses Services liegt auch darin, dass sich das Personal des Gartencenters damit die Kritik an der einen oder anderen Anzuchtmethode oder an Pflegefehlern ersparen kann. Astrid Krämer ist nämlich sehr direkt und stur. Gepaart mit ihrer Besserwisserei führen diese Eigenschaften beim Gegenüber nicht immer zu viel Freude.

Im grossen Garten der Endsiebzigerin dominieren im Vordergrund strukturiert angelegte Beete, die am hinteren Ende des Grundstücks in eine locker angeordnete Bepflanzung übergehen. Auch ein Nutzgarten und ein Gewächshaus sind vorhanden. Aktuell dominieren Rot-, Gold und Brauntöne und es blüht eine beeindruckende Vielfalt an Chrysanthemen. Einen besonderen Akzent setzt eine kleine Gruppe roter Dahlien. Und nun liegt die achtundsiebzigjährige Frau an einem Herbsttag erschlagen in ihrem prächtigen Paradies.

Die Spuren am Tatort lassen auf eine gezielte Tat schliessen. Dem Wohnhaus ist sichtlich weniger Pflege zugekommen als dem Garten. Es ist deutlich in die Jahre gekommen und wirkt heruntergekommen. Efeu hat sich einen Teil der Fassade erobert und verdeckt die Spuren von Alter und Vernachlässigung. Der Gartenliebe wurde drinnen mit der Lektüre von Gartenzeitschriften gefrönt. Jedenfalls lässt sich dies aus der Zusammensetzung des Zeitschriftenstapels schliessen. Das Ermittlungsteam rund um Valentina Bergmann tut sich schwer damit, ein Motiv für den Mord zu finden. Astrid Krämer war unverheiratet und hatte keine Kinder. Nach einem Biologiestudium war sie in der Forschung tätig. Mit ihrer Meinung hat sie nie hinter dem Berg gehalten. Sie war nicht besonders beliebt, galt aber als durchaus freundlich und Feinde sind auch keine auszumachen.

Da passiert ein zweiter, praktisch identischer Mord, und zwar ebenfalls in einem Garten. Das zweite Opfer ist ein älterer Herr. Zwei Morde in der gleichen Woche. Ist ein Serientäter am Werk? Die Bevölkerung wird nervös. Durch eine Zeugin erfahren die Kriminalbeamten von einer Verbindung zwischen den Mordopfern, die mehre Jahrzehnte zurückliegt. Beide gehörten als Teenager zusammen mit weiteren Halbwüchsigen einer eingeschworenen Clique an. Die Polizei versucht fieberhaft herauszufinden, wer die übrigen Mitglieder waren und ob diese auch in Gefahr sind, und die Antwort auf die Frage, was dannzumal geschehen ist.

Die Autorin flicht in die Ermittlungen in diesem Cold Case Einblicke in das Privatleben von Valentina Bergmann und ihrem Team ein. Die junge Witwe wohnt mit ihrer fünfjährigen Tochter Emma in einer Wohnung im Haus der siebenundsiebzigjährigen Frau Gerlach. Auch diese Rentnerin liebt ihren Garten und pflegt eine Leidenschaft für historische Apfelsorten. Doch das dauernde Streben nach hortikultureller Perfektion der ermordeten Astrid Krämer ist ihr fremd. Da ihre erwachsenen Kinder samt Enkeln im Ausland leben, freut sich diese Seniorin über ihre neuen Mieterinnen Valentina und Emma, die nach dem Tod des Ehemannes und Vaters in einer neuen Umgebung einen Neuanfang starten.

Durch gezielt platzierte Einschübe erhält die Leserin Einblick in die Geschehnisse im Jahr 1972. Eben diese Geschehnisse, welche Jahrzehnte später einen Rachefeldzug auslösen. Neben den Ermittlungen in den beiden Mordfällen in den herbstlichen Gärten werden Informationen zum ungeklärten gewaltsamen Tod von Valentinas Ehemann gestreut. «Der vergessene Garten» ist Band 2 einer Buchreihe (Band 1 habe ich nicht gelesen). Ich nehme an, in künftigen Folgebänden werden nicht nur weitere Morde aufgeklärt, sondern auch das Rätsel um den Mord, den die Ermittlerin höchst persönlich betrifft.

 

 

Susanne Herbst:
Der vergessene Garten (Kommissarin Valentina Bergmann ermittelt, Band 2)
Eigenverlag, 2025

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

Posts created 103

Schreiben Sie einen Kommentar

Related Posts

Begin typing your search term above and press enter to search. Press ESC to cancel.

Back To Top