Virginia Anemona: Der Mann, dessen Badewanne im Garten steht

Ein Teenager mit sehr strengen, lieblosen Eltern und ein unglücklicher Witwer, der um seine nach jahrzehntelanger Ehe verstorbene Frau trauert, wohnen in Gärten, die aneinandergrenzen, aber durch einen blickdichten Holzzaun voneinander getrennt sind. Auf der einen Seite der Hecke lebt Alexander, dessen Tage mit Schule, Hausaufgaben und Putzen aus- oder eher überfüllt sind. Im Nachbarhaus ist der trauernde Kurt daheim, der ein Jahr nachdem seine geliebte Anne gestorben ist, sich so gut er es vermag um ihre Blumen. Bei Einbruch der Nacht nimmt er gern ein Schaumbad in der Badewanne, die im Garten steht und versucht seinen Kummer mit Singen zu verdrängen.

Eben dieser Gesang verleitet eines Nachts Alexander dazu, sich auf die andere Seite des Zauns zu wagen, was ihm von seinen Eltern strengstens untersagt worden ist. Er ist sofort fasziniert von den Blumen, die hier auch nachts um die Wette leuchten und gleichzeitig himmlisch duften. Alexander wähnt sich in seinem ureigenen Wunderland, das ihn an dasjenige von Alice aus dem berühmten Klassiker von Lewis Carroll erinnert. Einer Lektüre, die seine Mutter (natürlich) sofort nach dem Entdecken entsorgt hat. Der Halbwüchsige folgt den Melodien, die ihn zu seinem Nachbarn führen, der in einer weissen Badewanne voll Schaum und Blütenblättern liegt, die umrahmt ist von einer hohen Blumenhecke und bunten Blüten. Alexanders Neugier überwiegt die Angst vor Entdeckung und er beobachtet angespannt den badenden Mann, der sein Grossvater sein könnte.

Als der einundsiebzigjährige Kurt bemerkt, dass er im Fokus des jungen Nachbarn steckt, erschrecken beide heftig. Nachdem sich das erste Entsetzen gelegt hat, kommen die beiden Männer ins Gespräch. Der junge Mensch, der am Anfang seines Lebens steht und der Witwer, der mit seinem abgeschlossen hat und nur noch darauf wartet, seiner verstorbenen Frau zu folgen, freunden sich an. Immer wieder schleicht sich Alexander hinüber. Er empfindet Kurts Garten als Refugium. Der Teenager erfährt in seinem Elternhaus nämlich keinerlei Liebe oder auch nur einmal ein nettes Wort und flüchtet sich oft in Träume. Umso mehr schätzt er die Anteilnahme von Kurt und fühlt sich zu ihm hingezogen. Und nein, der ältere Mann nützt diese Sehnsucht und seine Überlegenheit nicht aus. Doch in diesem Buch werden etliche andere schwierige Themen angesprochen wie etwa körperliche und seelische Misshandlungen und Vernachlässigung.

Alexanders Eltern pflegen enge Kontakte zu einer Familie und Alexander freundet sich mit deren jüngeren Sohn an. Die Verbindungen zwischen den Eltern und auch jene zwischen den Kindern selber entwickeln sich fatal. Alexander findet sich in einem furchtbaren Dilemma wieder und wird hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung, ein gegebenes Versprechen zu brechen oder zu schweigen.

Hinter dem wunderschönen blumigen Buchcover steckt allerlei Botanisches und zusammen mit dem paradiesischen Garten geben übersinnliche Elemente und eingeschobene Briefe der Lektüre ein wenig Leichtigkeit. Denn es ist keine einfache Lesekost, die Virginia Anemona verfasst hat, auch wenn der Titel «Der Mann, dessen Badewanne im Garten steht» anderes vermuten lassen könnte.

Grosse Mühe hatte ich mit der hölzernen Kommunikation von Alexanders Eltern. Deren eigentümlich gestelzte Sprache mit seltsamen Sätzen und immer wieder vorkommenden Ausdrücken wie Alexanderleinchen, freudenreich, und gedeihlich (um nur einige wenige zu nennen) fand ich äusserst seltsam und ich bezweifle die zwingende Notwendigkeit im Kontext dieser Erzählung. Schliesslich wundert sich die Leserin, wie dermassen extreme und brutale Eltern einen solch empathischen Sohn verdient haben. Tatsächlich wechseln die Sympathien zu den Charakteren im Laufe der Lektüre, denn einzelne machen eine enorme hoffnungsvolle Wandlung durch und erst Unverständliches wird zumindest teilweise nachvollziehbar.

 

Virginia Anemona:
Der Mann, dessen Badewanne im Garten steht
Eigenverlag, 2022

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Bücher

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