Zwei Frauen wollen um Martin kämpfen und keine ist bereit, auf ihn zu verzichten. Nach sechs Jahren ist die Wohnung, in welcher vier Personen zusammengelebt haben, vom WG-Gründer gekündigt worden und die Wege der letzten vier Bewohner trennen sich. Diese letzten beiden Jahre waren geprägt von Feindseligkeiten zwischen den zwei neueren Mitbewohnerinnen Nori und Marianne, die keine Gelegenheit fürs Schüren und Austragen von Konflikten ausgelassen haben. Die offensichtlich einzige Gemeinsamkeit der beiden jungen Frauen ist die Liebe zu Martin. Eine Zuneigung, die in ihrer Konsequenz zum nun grössten, aber auch finalen Problem geworden ist. Martin ist eine WG-Katze, oder korrekt der WG-Kater, und durch die WG-Auflösung zum Streitobjekt dieser beiden Frauen mutiert.
Weder die grosse sportliche Nori, noch die kräftig gebaute, männlich wirkende Marianne sind bereit, ihn kampflos aufzugeben. Ein Duell soll deshalb die Entscheidung bringen, welche beide Frauen akzeptieren wollen. Natürlich keines mit schwingenden Schwertern, aber eines mit Smartphones. Genügend Akku, Speicherplatz, Zoom- und Taschenlampenfunktion sollen der glücklicheren Handy-Bedienerin zum Beweisfoto und damit zum Sieg verhelfen.
Die Spielregeln sehen vor, dass Nori und Marianne bei Dunkelheit aus unterschiedlichen Seiten in den lokalen Barockgarten eindringen, die eine Frau nämlich von Norden her, die andere aus dem Süden. Wer das erste Foto der Gegnerin schiesst, darf Martin als sein eigen betrachten. Eigentlich ganz simpel, doch die Gartenanlage ist mit einer Länge von neunhundert und einer Breite von fünfhundertfünfzig Metern sehr gross und wird an drei Seiten von einem Wasserkanal umrahmt. Der während der nächtlichen Schliessung unbeleuchtete Garten ist in verschiedene Bereiche unterteilt. Das Smartphone muss zwar als Leuchtmittel dienen, aber gleichzeitig muss verhindert werden, dass das Licht von der Gegnerin als Vorteil genutzt werden kann.
An einem frühsommerlich warmen Abend im Mai überwinden Nori und Marianne Hecken und Gitter und das Duell fängt an. Die Gartenpläne sind auf den Handys abgespeichert und beide Teilnehmerinnen haben sich zur Vorbereitung Gedanken über das strategische Vorgehen gemacht. Wie kann das grosse Parterre ohne Sichtschutz durchquert werden? Bietet die Aussichtsterrasse nachts einen Überblick aufs Gelände? Nimmt die Gegnerin den Weg durch das Boskett (Lustwäldchen) mit seinen vielen Versteckmöglichkeiten?
Die neunundzwanzigjährige Nori ist überzeugt, dank ihrer intellektuellen Fähigkeiten ihre drei Jahre jüngere Kontrahentin schlagen zu können. Aber sind wirklich diese Eigenschaften ausschlaggebend? Eigentlich war Nori von einer geräuschlosen Kulisse im Garten ausgegangen, mit Ausnahme von Tierlauten vielleicht. Doch nun hört sie Trommelklänge. Verhindern die nicht abklingenden Trommelklänge, dass Nori Mariannes Auftauchen durch knirschenden Kies hören kann? Und überhaupt, wer ist da neben ihr und Marianne nachts im geschlossenen Park?
Annähernd die ganze Handlung spielt innerhalb von wenigen Stunden in der Nacht des Gartenduells. Abwechselnd aus der Perspektive von Nori und Marianne geht es lesend durch die verschiedenen detailreich beschriebenen Gartenteile. Der riesige Barockgarten entwickelt in der Nacht durch seine Besucher aus weiter Ferne und aus anderen Zeiten und Wirklichkeiten ein Eigenleben, von dem der gemeine Stadtbewohner ausserhalb der Hecken keine Ahnung hat. Stichworte sind da etwa Teleportation und Angstvisionen, letztere hervorgerufen von einer schwarzen Frauengestalt mit besonderen Fähigkeiten. Beide Frauen kommen an ihre Grenzen und müssen Entscheidungen treffen, die das eigentliche Ziel des Duells zumindest temporär in den Hintergrund rücken lassen.
Ich habe zuletzt einige Bücher mit Fantasy-Elementen gelesen und an einigen Gefallen gefunden. Die Idee eines nächtlichen Foto-Duells im Garten hat Guido Ahner in eine spannende Geschichte mit absolut stimmigem Ende eingebeetet. Ich erlaube mir beim Lesen von Fantasy-Einschüben zu sinnieren, «wäre schön, es gebe dies tatsächlich» oder «gut gibt’s das nur in der dichterischen Freiheit». Etwas was, bei den täglichen, zunehmend beunruhigenden Nachrichten leider oft nicht so einfach gedacht werden kann.
Guido Ahner:
Der grosse Garten – Duell der Frauen
Eigenverlag, 2024
Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.