Claus Mikosch: Der kleine Garten am Meer

Niklas ist in seinem Beruf nicht besonders zufrieden, aber auch nicht richtig unglücklich. Er geniesst die Privilegien, die er sich dank seinem Einkommen als Bankangestellter leisten kann. Als der zweiunddreissigjährige Mann seinen Job verliert, hadert er denn auch mehr mit der Tatsache, dass er nicht selber gekündigt hat, als dass er seine Stelle los ist. Keiner wird schliesslich gerne herausgeworfen!

Der junge Mann entschliesst sich, nach Spanien zu reisen. Das Land im Westen Europas kennt er von zwei dort verbrachten Auslandsemestern während des Studiums bereits ganz gut. Dort will er Abstand vom durcheinandergebrachten Alltag gewinnen und über seine Zukunft nachdenken. Ein kurzfristig gemietetes Zimmer in einer Vierer-WG im andalusischen Esponia ist für die nächsten Wochen sein Zuhause.

In diesem Ort an der Südküste Spaniens lebt schon zeit seines Lebens der achtundsiebzigjährige Senor Gonzalez. Der bescheidene Bauer hat nur wenige Jahre die Schule besucht und war nie weiter als knapp hundert Kilometer weg von seinem Heimatort. Seit mehr als sechzig Jahren arbeitet Senor Gonzalez von morgens bis abends in seinem Garten, der etwa so gross wie ein halbes Fussballfeld ist. Er vermisst überhaupt nichts in seinem Leben und verspürt auch keinen Neid auf andere, die sich mehr leisten können.

Fast täglich schaut Niklas bei Senor Gonzales vorbei, und der junge Mann versucht sich als Hilfsgärtner nützlich zu machen. Er lernt Tomatenpflanzen zu setzen, Seitentriebe auszugeizen und jätet stundenlang in der andalusischen Hitze Unkraut. Dabei führen die beiden Männer Gespräche. Erstaunt erfährt Niklas, dass der alte Mann nicht in Rente gehen will, weil der Garten seine Aufgabe ist. Er ist nicht reich, aber glücklich und dankbar für die Geschenke der Erde, die ihn ernähren. Niklas kommt nicht umhin, Vergleiche zwischen seinem Leben in Deutschland mit regelmässigen Wochenend-Tripps in ferne Städte und dem kräftezehrenden Dasein des andalusischen Bauern zu ziehen.

Der jüngere Mann beginnt, den Sinn oder Unsinn von der ständigen Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln zu hinterfragen, die sogar zu unpassenden Jahreszeiten um den halben Globus transportiert worden sind, bevor sie im Laden zum Verkauf stehen. Er möchte von seinem Gegenüber erfahren, wie man überflüssige Wünsche loswird bevor sie mit Geld in nicht zwingend notwendige materielle Dinge umgewandelt worden sind. Niklas erfährt von der Frage der Perspektive. Der Tourist in Andalusien wünscht sich schönes Wetter für seine Ferien, während sich Gärtner Gonzalez über jeden Regentropfen freut, der im Sommer den Weg auf seine Pflanzen findet. Längst hat der alte Mann gelernt, dass sich aufregen sowieso zwecklos und eine Verschwendung von Kräften ist. Kräfte, die dann fehlen, um Wichtigeres zu erledigen. Nichts bleibt wie es ist, ob die Veränderungen nun positiv oder negativ sind, wird sich ergeben.

Neben seiner Fähigkeit, die Dinge zu akzeptieren wie sie sind und das Beste aus ihnen zu machen, ist seine Samenbank der grösste Reichtum des Gärtners. In Kisten, Kartons, Umschlägen und Schraubgläsern stecken verschiedene Samen in den unterschiedlichsten Grössen, Form und Farben und werden so konserviert. Es gibt kleine, grosse, dicke, dünne, runde, zackige, längliche, ovale – die Vielfalt der Natur ist unendlich. Um sie zu erhalten, müssen die Samen regelmässig ausgesät werden und durch neu geerntete Saat ersetzt werden. Die Sortenvielfalt kann nämlich nur erhalten werden, wenn man sich regelmässig von ihr trennt. Und es fehlt in der Erzählung auch nicht der Vergleich zwischen der im Samenhandel längst eingeschränkten Mannigfaltigkeit und der Menschheit, die sich gleichermassen zunehmend weniger durch Individualität unterscheidet und sich ebenfalls zur Monokultur entwickelt.

Negativ formuliert handelt es sich bei dieser Erzählung um einen Ratgeber in Romanform. Unzählige allgemein bekannte Weisheiten und auch Klischees sind in eine nette Gartengeschichte eingebeetet, die sich flüssig lesen lässt und die mit vielen guten Vorsätzen von Niklas endet. Denn dieser beabsichtigt, seinen ökologischen Fussabdruck deutlich zu reduzieren. Auch seine frisch angeeigneten gärtnerischen Fähigkeiten will er weiter pflegen. Sein Balkon soll bepflanzt werden und er überlegt, sich in einem Gemeinschaftsgarten zu engagieren. Ob er diese Vorsätze dann tatsächlich in Taten umsetzt und längerfristig einhält, bleibt offen.

Positiv formuliert ist der Roman ist ein Abbild unserer (westlichen) Gesellschaft, mit all (oder vielen) ihrer negativen Seiten und der Trägheit, eigene Bequemlichkeiten hinter die Bedürfnisse unseres Planeten zu stellen. (Kurzfristig) aufgerüttelt wird sie, wenn die Gestelle im Lebensmittelmarkt durch eine Pandemie oder wie etwa im Buch durch Streiks leer sind.

Die Erzählung «Der kleine Garten am Meer» ist früher bereits unter dem Titel «Señor Gonzalez und der Garten des Lebens» veröffentlicht worden.

 

Claus Mikosch:
Der kleine Garten am Meer – Eine Erzählung darüber, was im Leben wirklich zählt
Penguin Verlag, 2019

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

 

 

 

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