Eleanor Catton: Der Wald

Der deutsche Buchtitel «Der Wald» als Übersetzung von «Birnam Wood» weckt falsche Assoziationen. Wer sich nämlich im Kopfkino bereits begleitet von beunruhigenden Tierlauten durch hohe Baumstämme in düsteren Wäldern herumrennen sieht, liegt ziemlich falsch. Ein Teil der Handlung spielt zwar in und um einen neuseeländischen Nationalpark, aber der englische Originaltitel bezieht sich nicht auf das Rauschen von Bäumen, sondern ist Shakespeares Tragödie «Macbeth» entlehnt.

Durch einen Erdrutsch ist der Korowaki-Pass für längere Zeit geschlossen und das umliegende Gebiet, das teilweise zum Verkauf steht, von der Umwelt abgeschnitten. Zwei Personen ohne Berühungspunkte und mit völlig unterschiedlichen Weltanschauungen möchten sich diese Tatsache unabhängig voneinander zu Nutzen machen. Das Ziel der einen sind skrupellos erwirtschaftete finanzielle Vorteile, die andere vertritt die Weltrettungs-Perspektive. Die Schnittmenge zwischen beiden ist (natürlich) Geld.

Mira Bunt wollte als Teenagerin ihre Mutter überzeugen, statt gewöhnlicher Tomaten die kleineren Kirschtomaten zu kaufen. Weil die Mutter gerade einen Ratgeber über die Förderung von Eigeninitiative las, überzeugte sie die Tochter davon, die gewünschte Sorte selber anzuziehen. Im Folgejahr konnte Mira neben schmackhaften Kirschtomaten rund zwanzig andere Tomatenvarietäten ernten und der längst zum Katzenklo mutierte Sandkasten aus Kleinkindtagen wurde zum Beet umfunktioniert. Die Frau auf der Schwelle zum Erwachsenwerden eignete sich rasch detaillierte Kenntnisse von Fruchtwechseln im Gemüseanbau und Gärtnern mit kühlen und warmen Gewächshäusern an. Die Endzwanzigerin, die längst eine Gärtnerausbildung absolviert hat, ist sehr selbstkritisch und schätzt es, dass Fehlschläge beim Gärtnern keine Strafe sind und laufend Veränderungen und Erneuerungen möglich sind. Ein Zitat zur Definition von Gärtnern aus dem Buch lautet: «Man folgt ein paar einfachen Regeln und ansonsten braucht man Zeit».

Die Zeit läuft unbarmherzig in eine Richtung und nicht immer geht es positiv vorwärts. «Birnam Wood» ist der Name der Guerilla-Gardening-Gruppe, welche die inzwischen neunundzwanzigjährige Mira Bunting vor rund fünf Jahren zusammen mit anderen Aktivisten als Kollektiv gegründet hat. Die Gemeinschaft pflanzt, hegt, pflegt und erntet Obst und Gemüse auf Grundstücken, ohne dass die Besitzer oder die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommen. Angebaut wird etwa an Strassenrändern, in Hinterhöfen, verlassenen Parks oder Gärten von Altersheimen. Das Kollektiv reizt bei der Wahl der Anbauflächen durchaus die Grenzen der Legalität aus oder überschreitet sie auch mal. Doch auch nach fünf Jahren schafft es die Truppe kaum, mit Einnahmen aus dem Verkauf der Ernte die Ausgaben zu decken. Das Ziel Kostendeckung ist in weiter Ferne und allem Idealismus zum Trotz macht sich Ernüchterung breit.

Shelly ist in der Aktivistengruppe für den Verwaltungskram zuständig und eigentlich unentbehrlich. Doch die wichtige Stütze plant ihren Ausstieg. Dann ist da noch Tony Gallo, ein ehemaliger Mitbegründer von Birnam Wood, der einige Jahre abwesend war und dessen (Nicht-)-Beziehung zu Mira kompliziert ist. Da das durch die Naturkatastrophe von der Umwelt abgeschnittenen Grundstück nun bis auf weiteres bestimmt nicht verkauft werden kann, vermutet die Gärtnerin ein enormes Potential für Guerilla Gardening.

Mira fährt alleine hin und beginnt , das Gelände zu erkunden. Während sie bereits mit Eimer, leeren Kanistern, Dünger und anderen Hilfsmitteln Vorbereitungen für Aussaaten trifft, wird die ahnungslose Frau bereits beobachtet. Kurz darauf bringt die völlig unerwartete Begegnung mit Robert Lemoine sie, die ausgesprochen geübt ist, im Blenden ihrer Gegenüber, aus dem Konzept. Der amerikanische Milliardär, der mit Drohnen ein Imperium aufgebaut hat, gibt ihr gegenüber an, das Grundstück gekauft zu haben, um auf der ehemaligen Schaffarm einen Endzeitbunker zu bauen. Die beiden kommen wiederholt ins Gespräch und Lemoine schlägt Mira schliesslich vor, «Birnam Wood» grosszügig finanziell zu unterstützen.

Als Mira der Aktivistengruppe das Finanzierungsangebot des Milliardärs (mit vagen Erklärungen zu den Details des Deals) unterbreitet, wird mit der mehrheitlichen Annahme eine Wende in der Geschichte des Kollektivs eingeleitet. Als einziger spricht sich Tony Gallo offen gegen den Plan aus, Geld von Lemoine anzunehmen, wird aber überstimmt. Zum ersten Mal seit der Gründung kann mit vollen Händen Geld ausgegeben werden. Doch zu welchem Preis? Welche Ziele verfolgt der hilfreiche Prepper? Hat Mira die Gruppe zum Abschluss eines Pakts mit dem Teufel persönlich verleitet und die ursprünglichen Ziele von «Birnam Wood» samt der Unabhängigkeit verkauft?

Während die Aktivisten am Korowaki Pass in grösserem Stil mit Guerilla Gardening loslegen und Mira und Shelley nochmals zusammen an einem Strick ziehen, macht sich auch Tony unabhängig und ohne Wissen der Gruppe auf ins gleiche Gebiet. Er misstraut dem Milliardär und entdeckt schliesslich Lemoines dreckiges, illegales Geheimnis, das er als angehender Journalist unbedingt der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen will.

Bis die Geschichte mit Laufen und Kriechen durch und Verstecken vor Drohnen im Nationalpark richtig spannend wird, müssen etliche Seiten mit Gruppendiskussionen gelesen werden. Während das Guerilla-Gardening-Kollektiv Karotten- mit Rettichsamen vermischt, aussät und ziemlich erfolgreich in viel grösseren Mengen als in den Jahren zuvor Nahrung anpflanzt, erfolgt unweit der Anbauflächen eine bis ins kleinste Detail durchgeplante illegale Aktion, die sämtliche (naive?) Vorstellungen übersteigt. Das versteckte Riesenvorhaben Lemoines funktioniert nur durch lückenlose Überwachung des Umfelds mittels angezapften Handys und anderer technischen Unterstützung. Tony bleibt deshalb nicht lange unentdeckt und ein Todesfall bringt zusätzliche Unruhe in die Pläne des skrupellosen Milliardärs.

Das spektakuläre Ende des Romans wird sehr schnell erzählt und abgehandelt und lässt einem schockiert zurück. Wie sich wohl ein Epilog gelesen hätte, der die letzten Geschehnisse aus der Retrospektive zusammen mit den Ereignissen rund um das Ende der Lektüre nochmals beleuchtet hätte? Spannend wäre für mich zu erfahren, ob die Autorin für Figur des Robert Lemoine das reale Vorbild im Kopf hatte, das mich durch das Buch begleitete.

 

Eleanor Catton:

Der Wald

btb Verlag, 2024

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

 

 

 

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