Wenn gegen Ende des Sommers allenthalben die Pflanzenregale in einschlägigen Geschäften mit Heucheras überquellen, werden diese oft zusammen mit einer mir etwas merkwürdig erscheinenden zickzackförmigen Pflanze verkauft. Ich kann mich jeweils nicht so recht entscheiden, ob mir letztere gefällt oder nicht. Wie das ungezähmt wachsende Gewächs heisst, wusste ich jedenfalls bis im Mai 2023 nicht. Im Garten hinter einem unauffälligen Londoner Reihenhaus habe ich diese Wissenslücke geschlossen und noch vieles mehr erfahren, als dass es sich um Corokias handelt und der deutsche Name tatsächlich Zickzackstrauch lautet.
Die Opernsängerin Mona Abboud, die übrigens lange in Genf gelebt hat, frönt hier seit Anfang dieses Jahrhunderts ihrer Passion für den Genus Corokia und mediterrane Pflanzen. Diese meist lichthungrigen Gewächse, die mit kargen Bodenverhältnissen zurechtkommen, erinnern sie an die Natur in ihrem Heimatland und die von ihr geliebte Landschaft im mittleren Osten. Corokias selber stammen aber aus Neuseeland, wo sie endemisch sind.
Unsere gut gelaunte Reisegesellschaft, die in den Tagen zuvor bereits Einblick in mehrere völlig unterschiedliche Gärten bekommen hatte, wurde vor dem Haus von der quirligen Besitzerin begrüsst. Ich nehme an, die wenigsten der Mitreisenden wussten viel über Corokias und waren umso gespannter, diese «National Collection» in Augenschein zu nehmen. Im Gänsemarsch ging es durch Korridor und Küche. Unterwegs warf ich einen Blick auf die auf einem Tisch ausgebreiteten Publikationen der Gärtnerin sowie alte Gartenfotos aus der Vor-Corokia-Zeit und betrachtete die Magnetsammlung mit hortikulturellen Motiven am Kühlschrank (da gab es tatsächlich welche, die in meiner eigenen Kollektion fehlen…).
Aus grossen Fenstern des erhöht liegenden Hauses konnten wir einen ersten Augenschein auf verschieden hohe blickdichte Gehölzsilhouetten in unterschiedlichen Grüntönen nehmen, ab und zu von silberfarbenen Blättern unterbrochen. Aus dieser Perspektive liess sich ziemlich genau ausmachen, wo die Grenzen von Monas Garten verlaufen. Ein paar Schritte weiter vom Balkon aus war der Ausblick noch vielversprechender. Aus dieser Warte waren einzig ein Weg und ein Brunnen auszumachen und damit verblieb etlicher Raum für Vermutungen, was uns wohl auf der darunter liegenden Pflanzebene erwarten würde. Über eine Treppe erreichten wir schliesslich das tiefergelegene lange Gelände.
Der Wegrand war grosszügig gesäumt von Süssgräsern (Restios) und anderen zumeist wärmebedürftigen Pflanzen aus dem Mittelmeerraum und Australien. Dazwischen wuchsen strukturgebende Bambusse und Gehölze sowie eben eine grosse Anzahl der immergrünen Zickzacksträucher. Die verschiedenen Sorten haben meist ledrige, meist kleine und rundliche Blätter, aber auch längliche Blattformen sind möglich. Die Farben variierten in diversen Nuancen von Grün. Dazwischen waren auch gelbliche und rötliche Farben und panaschierte Formen vertreten. Wenn sich eine Pflanze wohl fühlt, schmückt sie sich mit vielen kleinen gelben Sternchenblüten, aus denen sich gelbe, orange oder rote Beeren entwickeln.
Viele der Gehölze (auch die Corokias) waren sehr formal, für meinen Geschmack teilweise zu formal geschnitten. Die bizarren Gewächse erinnerten mich in ihrer Vielfalt an meine heimische Berberitzenkollektion. Ohne die Bedürfnisse der Zickzacksträucher jetzt genauer zu kennen, stelle ich mir vor, dass eine natürlichere Schnitttechnik ein optischer Gewinn sein könnte. Vielleicht waren wir aber auch einfach zum falschen Schnittzeitpunkt da. Nichtsdestotrotz waren die verschiedenen Exemplare der Corokien und ihre «Einbeetung» in die Gartengestaltung beeindruckend anzusehen.
Seit einigen Jahren trägt die Mona’s Sammlung den mit Ehre und Pflichten verbundenen Titel «National Collection for corokia». Ihr enormes Wissen über diese Pflanzenfamilie mitsamt dem geschichtlichen Hintergrund und die Entwicklung ihres Grundstücks gibt die Gärtnerin nicht nur an Gartenführungen mit viel Enthusiasmus weiter. Sie hat ein eigenes Buch herausgegeben und wird in einer aktuellen Publikation porträtiert («What gardeners grow; 600 plants chosen by the world’s greatest plantspeople», Bloom/Frances Lincoln, 2023).
Mona Abboud empfahl uns ihre nicht frostharten Lieblingspflanzen als Buchsersatz. Ein Rat, der in unserer Klimazone (vorerst noch) nur mit Vorsicht befolgt werden sollte. Ein Plan von Monas Garten mit grünen und roten Punkten verdeutlichte nochmals den Umfang der Sammlung. Rote Punkte standen für Corocias. Besonders stolz war die Besitzerin auf Corokia «Mona’s Magic», ein in ihrem Garten aufgetauchter neuer Kultivar, der nach ihr benannt ist.
Die interessierten Zuhörer erfuhren auch Details zu der von Mona getroffenen Nachfolgeregelung, die den Erhalt der Sammlung sichert. Sie hat den Garten einer Organisation überschrieben, die seit über 180 Jahren bedürftige Menschen aus dem Bereich der englischen Hortikultur unterstützt (Perennial Org.) Diese Massnahme ist für die energiegeladene vierundsiebzigjährige Gärtnerin keinerlei Anlass, ein wenig kürzer zu treten. Im Gegenteil. Sie hat kürzlich die Gelegenheit genutzt, ihren (schon jetzt nicht sehr kleinen) Garten durch Zukauf eines Nachbargrundstücks deutlich zu erweitern.
Ich nehme an, dass der Grenzverlauf des Gesamtgrundstücks vom Balkon aus gesehen bald nicht mehr ein einfaches Rechteck sein wird. Jedenfalls wurde bereits ein in Grösse und Stil beeindruckendes neues Gewächshaus errichtet, das für die Vermehrung von Corokias dient. Ansonsten soll der neue Gartenbereich aus den vor Ort vorhandenen Rohstoffen weiterentwickelt werden. Denn während im schon länger bestehenden Gartenteil seinerzeit mit umfangreichen und kostspieligen Anpassungen perfekte Grundlagen für die Sammlung geschaffen worden sind, wird hier der Fokus auf Recycling und Nachhaltigkeit gesetzt. Ein grosser abgebrochener Ast eines Baumes sowie Stammreste von abgeholzten Bäumen wurden etwa bis zum letzten Span wieder verwendet – nämlich in Form von Beeteinfassungen, Mulch und Blumentopfständer.
Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit, einen englischen Garten zu besuchen, dessen Besitzer eine «National Collection of Epimedium» (Elfenblumen) beherbergten. Auch jene Besitzer hatten ihren Garten immer wieder durch Zukäufe vergrössert und eine dicht bepflanzte dschungelähnliche grüne Lunge in einem Dorf geschaffen. Solche Sammlergärten mögen vielleicht im Auge des einen oder anderen Besuchers gestalterisch nicht immer top sein, aber die Geschichten, die sich jeweils dahinter verbergen sind kaum zu toppen.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe Winter 2024 des Vivace, der Mitgliederpublikation der Gesellschaft Schweizer Staudenfreunde GSS, erschienen)