Monika Carbe: Die Friedhofsgärtnerin  

Wenn sich Zeit und Gelegenheit ergeben, laufe ich im Ausland gerne durch Friedhöfe oder Friedwälder. Diese üben eine (morbide?) Faszination auf mich aus. Es gibt oft besondere Gehölze und verschiedene Moose zu entdecken und die Grabsteine geben Einblicke in unterschiedliche kulturelle und religiöse Gedenkrituale. Im Oktober 2019 war ich letztmals an der Frankfurter Buchmesse und das damalige «Rahmenprogramm» fernab von Büchergestellen führte uns durch einen (für mein Verständnis) riesigen Friedhof, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere. Während mir vom Wiener Zentralfriedhof der Grabstein eines verstorbenen Taxifahrers in anhaltender Erinnerung geblieben ist, kommen mir von der Frankfurter Ruhestätte bunte Zettel an Grabsteinen in den Sinn, die einem bereits aus der Entfernung aufgefallen sind, weil sie das friedliche und natürliche Bild störten (Hinweise auf Grabaufhebungen bei fehlendem Kontakt zu Hinterbliebenen, wenn ich mich richtig erinnere).

Der Roman «Die Friedhofsgärtnerin» ist bereit 2014 erschienen und die Handlung spielt in den 1990er Jahren (als die sozialen Medien noch in den Kinderschuhen steckten) auf einem Frankfurter Friedhof, ist aber nach wie vor aktuell.  Wenn ich auf der Frankfurter Karte schaue, wo der Friedhof liegt zwischen dessen Mauern dieser Roman spielt, könnte der vor fünf Jahren durchschrittene tatsächlich derjenige aus der Lektüre sein. Jedenfalls haben mich während dem Lesen der «Friedhofsgärtnerin» Bilder von diesem Besuch begleitet. Fast ein Jahrzehnt figurierte das Buch auf meinem (ewigen) Wunschzettel, bevor ich mich letzthin entschlossen habe, es herunterzuladen. Der Grund für das lange Zögern war hauptsächlich die geringe Seitenzahl. Die Anzahl Seiten sagt ja nichts aus über die Qualität des Inhalts, und an diesem gab es gar nichts auszusetzen. Ausser vielleicht der Wunsch nach ein paar Seiten mehr Umfang und damit ein wenig mehr Gelegenheit für die Leserin, das Leben von Alice und ihren Gärtnerkollegen nach dem Skandal weiter zu verfolgen. Zum Inhalt:

Alice ist Ende 1945 auf die Welt gekommen und hat ihren Vater, der kurz vor Kriegsende gefallen ist, nie kennengerlernt. Aufgezogen wurde sie von der ihren verstorbenen Mann idealisierenden Mutter und den Grosseltern. Die Endvierzigerin hat sich in ihrem bisherigen Leben schon aus etlichen Tiefs wieder hochgerappelt und arbeitet nun schon länger als ungelernte Gärtnerin auf dem Frankfurter Hauptfriedhof, mit dem obersten Ziel, nie wieder aus einer Stelle herausgeworfen zu werden. Sie weiss ziemlich genau, wer seit wann wo begraben ist und kennt die Ruhestätten von Schriftstellern, Musikern und Komponisten, aber auch von Menschen, die ausser dem Grabstein in der Öffentlichkeit keine grossen Spuren hinterlassen haben.

Keiner ihrer Gärtnerkollegen kennt Details über die Vergangenheit der fleissigen und zurückhaltenden Frau, die ein völlig zurückgezogenes Leben führt und einst eine erfolgreiche, gutverdienende und ausgezeichnet vernetzte Künstleragentin war. Ungerechtfertigte Veruntreuungsanschuldigungen haben zu ihrer Entlassung geführt. Die Vorwürfe liessen sich nicht erhärten und beweisen, aber die Karriere von Alice und ihr Selbstvertrauen waren zerstört.

Nun arbeitet sie also von früh um sieben Uhr bis nachmittags um halb vier Uhr auf dem Friedhof und ist bei jedem Wetter mit Jäten, Harken, Laubrechen und Werkeln beschäftigt. Alice fühlt sich wohl zwischen dem vielen unterschiedlichen Grün. Natürlich kommt die zurückhaltende Frau zwischen all diesen Gräbern nicht umhin, Überlegungen zur eigenen Vergänglichkeit anzustellen. Suizid war vor Jahren ein aktuelles Thema. Doch inzwischen lässt sie solche Gedanken nicht mehr zu. Die Arbeit verschafft Ablenkung, aber privat ist sie einsam. Die Dachkammer ist ihre Rückzugshöhle, die sie neben Arbeiten und Einkaufen nur verlässt, um mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren. Ihre Gedanken drehen sich denn auch eher darum, wie sie die vielen Stunden füllen soll, die ihr gemäss statistischer Lebenserwartung noch bevorstehen.

Als auf dem Friedhof zwölf Freiwillige gesucht werden, um eine völlig vernachlässigte Ecke mit Ehrendenkmalen für einen Gedenktag im Folgejahr herzurichten, meldet sich Alice sofort. Sie kommt gut mit ihren zumeist aus südlichen Ländern stammenden Arbeitskollegen zurecht, die sich immer wieder abschätzige Kommentare von rechtsgesinnten Gärtnern anhören müssen. Als die Freiwilligengruppe auf dem abseits abgelegenen Gewann prosperierende Haschischpflanzen entdeckt, entbrennt eine heftige Diskussion und die Meinungen gehen auseinander, ob der Fund gemeldet werden soll oder nicht. Schliesslich graben zwei Männer die Pflanzen aus und an einem noch versteckteren Ort wieder ein.

Ein Gärtnerkollege mit ausländerfeindlicher Haltung und Neid auf die angeblichen Privilegien dieser Freiwilligengruppe, bekommt Wind von der verbotenen Cannabispflanzung und leitet die Information weiter an die Friedhofsverwaltung. Die beiden Haupttäter und Alice als eine der Mitwisserinnen und Mitwisser werden sofort entlassen. Die Medien stürzen sich auf den Fall und ein Spiessrutenlaufen beginnt.

Was ist dran an den Anschuldigungen? Wie gehen Camillo, Yusuf und Abdul damit um und wie geht es ihnen dabei? Monica Carbe (1945 – 2021) hat eine unaufgeregte Geschichte geschrieben, über Vorurteile und Fremdenhass zwischen Grabbepflanzungen mit Goldlack, Akeleien, Himmelschlüsseln und Rosen, die einem nicht so einfach wieder loslässt und oft dachte ich «Alice, wehr dich endlich oder hol Hilfe!» und die wenigen Seiten sind viel zu schnell gelesen. Offen bleibt (oder ich habe es überlesen), wer denn diese Haschischpflanzen überhaupt im Friedhof gesetzt hat. Aber vielleicht ist das tatsächlich völlig unwichtig. Gelernt habe ich was ein Gewann ist. Dieser Begriff (Flurform) war mir völlig unbekannt.

 

Monika Carbe:

Die Friedhofsgärtnerin

Grössenwahnverlag, 2014

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

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