Die Kameraassistentin Daria Wisniewska und der Biologe Jan Wrobel haben vor ein paar Jahren gemeinsam einen Dokumentarfilm über die Natur in den Masuren gedreht. Nach Studienabschluss haben sich ihre Wege getrennt, aber beiden gemeinsam ist, dass sie es bislang nicht wie erträumt geschafft haben, in der der Filmbranche Fuss zu fassen. Daria verdient ihren Lebensunterhalt mit Kellnern und Jan arbeitet inzwischen als Lehrer und seine Frau erwartet in Kürze das erste gemeinsame Kind. Für ein neues Projekt in den Masuren machen sich die beiden Endzwanziger noch einmal zusammen auf den Weg in das im Nordosten Polens gelegene Naturparadies. Beide sind unterwegs mit der Hoffnung, vielleicht dank dieser Filmproduktion doch noch den Einstieg in die Welt der Bewegtbilder zu schaffen.
Für erste Vorbereitungen sind sie bereits seit früh morgens zu Fuss in einem riesigen Wald unterwegs. Obwohl das Jahr schon fortgeschritten ist, herrschen immer noch eisig kalte Temperaturen und der Frühling lässt auf sich warten. Das einheitliche Bild von Bäumen und Unterholz neben dem Weg wird plötzlich durch eine Mauer mit einem kaputten Tor unterbrochen. Daria und Jan treten neugierig ein und finden sich in einem einladenden Garten wieder. Jenseits des Bollwerks ist es nicht nur deutlich wärmer, es hängen auch bereits dunkelblaue erntereife Brombeeren an den Ruten. Und überhaupt blüht und grünt es herrlich auf diesem herrlichen Flecken Erde, durch den ein plätschernder Bach fliesst.
Tatsächlich wachsen und gedeihen hier Gewächse und Gehölze, die in den kalten polnischen Wintern eigentlich nicht überleben können. Daria und Jan wollen herausfinden, wo sie sich befinden, doch ihre Mobiltelefone haben keinen Empfang. Nachdem sie sich aufgewärmt und mit Früchten und Wasser gestärkt haben, erkennen sie, dass sie den Garten nicht mehr verlassen können. Das defekte Tor, durch welches sie eingedrungen sind, weist keine Mängel mehr auf. Im Gegenteil, es hat sich in ein unpassierbares gesichertes Hindernis verwandelt. Die beiden jungen Leute sind gezwungen, die Nacht im ummauerten Garten zu verbringen. Sie entdecken eine Holzhütte, in der zwei Betten stehen und legen sich hin. Obwohl sie unter keinen Umständen die Augen schliessen wollten, schlafen beide ein.
Am nächsten Morgen erkunden sie den Garten genauer und sind fasziniert von einer grossen Allee aus Apfelbäumen, welche eine Blumenwiese säumt, über welche handgrosse bunte Schmetterlinge flattern. Nichtsdestotrotz wollen Daria und Jan raus aus dem Garten. Sie bauen eine rudimentäre Leiter, um die Mauer zu überqueren, welche aber jeden Überwindungsversuch abzublocken scheint und höher wird. Die beiden vereinbaren gemeinsam, ein paar Tage im Garten auszuharren. Sie wollen den Ort besser kennen lernen, seinen Zweck ergründen und natürlich erhoffen sie sich einen Ausweg, der sie zurück in den Wald und in die Zivilisation bringt.
Daria empfindet den Garten mit seinen süssen Früchten und das schöne warme Wetter als friedlich und wirkt ganz glücklich. Ihr bisheriges Leben scheint weit weg und wenig erstrebenswert. Jan hingegen möchte unbedingt raus aus dem unfreiwilligen Gefängnis und findet keine ruhige Minute. Mit seinem Leben, besonders seinem Beruf, war er nicht zufrieden, doch nun wünscht er sich nichts sehnlicher, als in sein bisheriges Leben zurückkehren zu können. Gleichzeitig vergisst er immer mehr Details aus seiner Vergangenheit und erinnert sich etwa nicht mehr richtig an seine Wohnverhältnisse.
Seltsame Dinge passieren im Garten. Da ist dieser kleine Renaissanceengel, der auf einem Sockel steht. Oberflächlich betrachtet ein liebliches Teil, doch er kann seine Mimik verändern und seinen Platz verlassen. Er steht als Wächter am Ende der Sichtachse aus Apfelbäumen. Die Skulptur ist derart vor dem Tor platziert, dass die beiden Ausbruchwilligen keinen Anlauf nehmen können, um die Chancen auf eine Überwindung der Mauer zu erhöhen. Nicht nur dieser Engel ist furchteinflössend. Auch das vermeintliche Paradies ist nicht lange himmlisch, sondern wird von Plagen heimgesucht, wie sie in der Bibel beschrieben sind.
In einem zweiten Erzählstrang nimmt die polnische Polizei Ermittlungen auf, nachdem Jan von seiner hochschwangeren Frau als vermisst gemeldet worden ist. Nach anfänglichem Desinteresse der Beamten, erkennen diese Parallelen zu früher in der gleichen Gegend verschwundenen Paaren und der Fall schafft es in die Medien.
Zum Inhalt dieses Buches habe ich im Internet nur wenig Informationen gefunden, weshalb ich lange gezögert habe, es auf den E-Reader herunterzuladen. Es hat sich mehr als gelohnt, in dieses Buchabenteuer aufzubrechen! Die Erzählung führte in ein mir eher fremdes Genre und entpuppte sich als überaus spannend und deutlich tiefgründiger als der Klappentext erwarten liess. Die Autorin schafft es, im Kopf der Leserin Bilder und Stimmungen zu erzeugen und sie bis zum nicht vorhersehbaren Ende mitfiebern zu lassen. Was bedeuten die Parallelen zum Garten Eden und den biblischen Plagen. Sind Daria und Jan überhaupt in einem Garten gefangen und um welche Grenzen geht es in dieser Erzählung überhaupt? Jedenfalls werde ich Renaissanceengel künftig mit anderen Augen betrachten!
Julia Hess:
Der Garten
E-Book-Verlag Traum3, 2022
Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.