Jessica Francis Kane: Vierzehn-Tage-Freundinnen

Die rund vierzigjährige May Attaway ist sehr belesen und sagt von sich (Zitat) «Ich lese Bücher, aber nicht immer die besten“. Dieser Satz widerspiegelt ganz gut den Charakter der Frau, die in der Mitte ihres Lebens steht und der Blick zurück auf ihre Vergangenheit mit der Fülle an Gewesenem und Nicht-Gewesenem sie am Weiterkommen hindert. Zumindest ein Teil der Blockade ist auf die fehlende Verarbeitung des Dramas rund um die Krankheit und den Tod ihrer Mutter vor etlichen Jahren zurückzuführen. Diese ist irgendwann einfach nur noch in ihrem Zimmer im Bett gelegen und hat und gewissermassen selber Wurzeln geschlagen – eine familiäre Tragödie, die bei den Zurückgebliebenen totgeschwiegen wird. May wohnt mit ihrem achtzigjährigen verwitweten Vater zusammen im Elternhaus. Zum einzigen Bruder besteht wenig Kontakt.

May hat im Anschluss an die Schule den Studiengang für Landschaftsarchitektur an der örtlichen Universität absolviert und arbeitet seither in der Abteilung Gartenpflege dieses Instituts. Die kinderlose, alleinstehende Frau hat strikt definierte Ansichten zu Pflanzen und Gartengestaltung. Sie mag keine fleissigen Lieschen und noch grösser ist ihre Abneigung gegenüber Petunien. Beide Blumen sind ihr zu empfindlich und bei Letzteren kommt hinzu, dass sie klebrig sind. Einjährige Pflanzen haben gemäss Mays Meinung nichts in der Landschaftsgestaltung verloren und umgekehrt findet sie es absurd, winterharte Chrysanthemen als Annuellen zu behandeln.

Die ersten hortikulturellen Erinnerungen der Gartenbegeisterten handeln von der wenig erfolgreichen kindlichen Pflege von Blumen in Töpfen in ihrem Mädchenzimmer, nämlich Usambaraveilchen auf der Fensterbank und eine rote Geranie auf dem Bücherregal. Ihre Liebe zum Grünzeug geht heutzutage so weit, dass sie ein ihr den Weg versperrendes Luxusauto ansteuert, als sie sich als Fahrzeuglenkerin vor einer absehbaren Kollision in Sekundenbruchteilen zwischen einem Kugel-Sommerflieder (Buddleja globosa) und dem teuren Lexus entscheiden muss.

Mit ihren Mitmenschen kann die introvertierte Frau weniger gut umgehen als mit Pflanzen. May beobachtet ihr Umfeld lieber und macht sich zwar viele Gedanken über Freundschaften, pflegt aber nur marginale direkte soziale Kontakte. Obwohl sie eine sehr negative Meinung über die sozialen Medien hat, verfolgt sie auf einschlägigen Internet-Plattformen den dort unverhohlen präsentierten Alltag von einigen Frauen, die ihr früher nahegestanden sind. Auch in dieser Schein- oder Parallelwelt ist die Gärtnerin nur eine aufmerksame Beobachterin.

So plätschert Mays Leben dahin, bis ihr die Uni ein Sabbatical gewährt (oder aufzwingt?). Die bezahlte Freistellung ist ihr Anteil an der lukrativen Preissumme, die ein Poet der englischen Fakultät zugesprochen erhalten hat für ein Gedicht, zu welchem ihn eine vor fünfzehn Jahren von May gepflanzte Eibe inspiriert hat. Bäume spielen nämlich eine wichtige Rolle im Buch. Einerseits bei Mays Nachforschungen für den väterlichen Andenken-Baum und andererseits wegen dieser von ihr auf dem Uni-Gelände gepflanzten und gepflegten Eibe. Der Steckling stammte dannzumal von der (wahrscheinlich) über dreitausend Jahre alten Fortingall-Eibe (Fortingall Yey, Taxus baccata), die im geografischen Herzen Schottlands steht. Übrigens zeigte diese Eibe bis vor rund zehn Jahren nur Zeichen von Männlichkeit, aber dann hat der Baum sein Geschlecht gewandelt und verhält sich nun weiblich.

Der bezahlte Urlaub inspiriert wiederum May, ihre Freundinnen und sich selber im Umgang mit Menschen wieder zu entdecken und zu erfahren wie sie auf andere wirkt. Sie besucht vier unterschiedliche Frauen, die in ihrem Leben früher eine Zeitlang eine wichtige Rolle gespielt haben und wohnt für das Konzept «Vierzehn-Tage-Freundin» bei diesen je nach räumlicher Situation im Kinderzimmer oder auch im Wohnzimmer. May hat nicht nur klar umrissene Meinungen und Vorstellungen wie Pflanzungen im Park angelegt werden müssen, das gleiche gilt für Bindungen mit guten Kolleginnen und Regeln bei (längeren) Besuchen. Das Buch liefert der Leserin denn auch viele konkrete Leitlinien für Freundschaften in Zeiten von virtuellen Kontakten. Schliesslich ist May Attaway eine sprudelnde Quelle von Wissen, wie sich ein angenehmer Besuch verhalten soll und selber ein Gast, den ich wohl gerne einladen würde. Auch im Wissen aus der Lektüre, dass sie nicht ständig unterhalten werden will, sondern gerne einfach am ungeschönten Alltag teilnimmt und erfahren möchte, wie ihre Freundinnen leben.

Das schön illustrierte Buch lässt mich trotzdem zwiespältig zurück. Anfangs empfand ich die Lektüre als äusserst zäh. Die Wiederentdeckung ihrer Freundinnen von Angesicht zu Angesicht bringt schliesslich etwas mehr Dynamik in den Text. Originell fand ich die Idee mit dem viral gehenden Hashtag zum Konzept der «Vierzehn-Tage-Freundinnen». Doch passend zu ihrem Charakter hat nicht May Attaway selber das Hashtag ins World Wide Web gestellt, sondern jemand hat es quasi ausgeliehen.

Jessica Francis Kane vermittelt so nebenbei etliches Wissen über Bäume, wie etwa die Herkunft des Namens der an Flussufern wachsenden Knackweide (Salix fragilis), deren Zweige ein hörbares Knacken verursachen, wenn sie mit einer raschen Bewegung vom Stamm abgebrochen werden. In die Texte fliessen auch immer wieder Zitate von bekannten Gärtnerinnen ein die regelmässigen «armchair gardeners» ein Begriff sind; Katherine White, Edith Wharton und andere.

May hat zwar wenige Freundinnen, aber gegen Ende des Buches hält sie fest, dass keine dieser wenigen Frauen so einfach ersetzbar ist. Ob es klappt mit den guten Vorsätzen, die Kontakte künftig besser zu pflegen und wie sich wohl die Postkartenfreundschaft zu einem Bekannten entwickelt?

 

Jessica Francis Kane:

Vierzehn-Tage-Freundinnen – Was zeichnet Freundschaft für dich aus?

Diana Verlag, 2023

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

 

 

 

 

 

 

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