Die Juristin, Journalistin und Autorin Daniela Schwegler hat schon verschiedene Bücher verfasst, darunter Portraits über Bergfrauen und Fährleute. Zwei ihrer Leidenschaften, nämlich das Führen von Interviews und das Sammeln von Wildpflanzen, hat sie nun in der Publikation «Grünkraft» vereint und berichtet von dreizehn Menschen und ihren ganz besonderen Beziehungen zu Kräutern.
Warum hält sich hartnäckig der Glauben und das Falschwissen, dass Vogelbeeren giftig sind? Der Ursprung ist darauf zurückzuführen, dass die Eberesche bei den alten europäischen Völkern als heiliger Baum verehrt wurde. Den Kirchenoberhäuptern missfiel dieser heidnische Glaube und sie verbreiteten die Mär von der Giftigkeit. Heute würde diese (sehr nachhaltige Strategie, die übrigens auch in meinem Kopf verankert ist) als Fakenews bezeichnet werden. Das im Buch enthaltene Rezept für ein pikantes Ebereschen-Chutney mag vom Gegenteil überzeugen. Falls Sie aber nach wie vor eher zweifeln, dass Vogelbeeren unbedenklich verzehrt werden können, lassen Sie sich vielleicht vom Koch-Tipp «Wilde Bratlinge mit Giersch-Mayonnaise» vor den Kochherd locken oder bereiten einen «heilsamen Engelwurzwein» zu.
Vor rund hundertfünfzig Jahren hat ein Schweizer Kind hundertfünfzig essbare Wildpflanzen gekannt. Dieses Jahrhunderte alte Wissen, das einst von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde, ging mit dem Fortschreiten der Industrialisierung und Verstädterung immer mehr verloren. Warum neigt der Mensch mit seiner häufig selektiven Wahrnehmung dazu, nur das zu sehen, was er bereits kennt und negiert die Existenz von Unbekanntem? Die Spitzengastronomie hat die Kräuter mittlerweile wieder entdeckt und vermehrt werden Kurse über Heilpflanzen aus der Natur und gesundes Essen nachgefragt.
Die verschiedenen Kräuterleute wohnen gemäss einer Schweizerkarte mit Markierungen der Wohnorte zu Beginn der Lektüre über das ganze Land verteilt. Sie verfügen über unterschiedliche Hintergründe und werden jeweils in einem eigenen Kapitel vorgestellt, das Portrait, Fotos von Gerry Amstutz, die Zeichnung einer Pflanze und ein Rezept beinhalten. Die meisten Namen waren mir nicht bekannt. Natürlich habe ich schon oft über Meret Bissegger und den sogenannten Blumengraffitikünstler und floralen Anarchisten Maurice Maggi gelesen, der findet Malvengemüse schmecke besser als Spinat. Seine blühenden Botschaften, die er seit vierzig Jahren in der Stadt Zürich hinterlässt, sind hierzulande nicht nur Sofagärtnern bekannt. In seinem Kapitel erfährt man (nochmals) wie seine Protestaussaaten ihren Anfang genommen haben, nämlich mit einem Jätauftrag in einem Villengarten am Zürichberg und einem Lieferwagen voller Malven mit Saatgut und auch der Ursprung der grossen Pflanzenliebe im Leben von Maurice Maggi wird erläutert.
Leider ist meine persönliche Malvenliebe eine einseitige und ich habe es irgendwann aufgegeben, diese ansiedeln zu wollen. Ein Lieferwagen voll gejäteter Malven, da fehlen mir grad die Worte… Einen oder mehrerer Lieferwagen würde heutzutage manch einer mit der Kanadischen Goldrute (Solidago) füllen wollen. Das im 18. Jahrhundert von John Tradescant dem Älteren in Europa eingeführte vermehrungsfreudig gelbe Mitbringsel gilt inzwischen als invasiv. Im Buch wird angeregt, kreativ zu denken und aus der Pflanze Eistee zuzubereiten und diese zum Färben zu verwenden.
Die Lektüre gibt Einblick in verschiedene Lebensläufe, die oft nicht gradlinig verlaufen sind, und gemeisterte Hindernisse, durch welche oft die Nähe und Liebe zu Wildpflanzen ihren Anfang genommen hat. Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Ernten und Verarbeiten werden thematisiert, «Zähmungsprozesse» nennt Gisula Tscharner diese. Wir lesen von Hopi-Indianern und dem Verhungern vor vollen Tellern und den Schwierigkeiten, die seit Jahrhunderten bekannte Wirksamkeit von Heilmitteln mit Studien zu belegen sowie davon, wie die Königskerze zu ihrem Namen kam.
Die abwechslungsreiche Lektüre bietet einen faszinierenden Einblick in ein mir zuweilen ungewohnt anmutende Ideen und in Lebensentwürfe mit enger Verbundenheit zu Natur und entsprechendem Respekt und Achtung und regt zum Nachdenken an. Die Identifikationsfiguren einiger Kapitel fand ich auf Wort und Papier dermassen sympathisch, dass ich mir eine persönliche Begegnung bei einem Kursbesuch reizvoll vorstelle. Den einen oder anderen Gedankenanstoss aus dem Buch nehme ich mit und versuche, diese in den Alltag zu integrieren. Vielleicht nicht gerade die Wildpflanzenmeditation, Aber ein Perspektivenwechsel schadet ja nie. Und die Gärtnerin versetzt sich ja beim Pflanzen ja auch in deren Rolle, weil sie den richtigen Platz für gutes Gedeihen aussuchen will.
Daniela Schwegler:
Grünkraft – Kräuterleute im Porträt
Wörterglück Verlag/AS Verlag, 2024
Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.