Der Roman «Forgotten Garden» ist die deutsche Übersetzung der (fast) gleichlautenden englischen Originalversion «The Forgotten Garden» von Sharon Gosling über Weichenstellungen in den Lebensentwürfen von Luisa, Harper und Cas, deren Wege sich im Rahmen des titelgebenden Gartenprojektes kreuzen. Der fremdsprachige Buchtitel dünkt mich etwas irreführend, dafür ist die Lektüre der die Leserin in den britischen Nordwesten führt, umso überzeugender.
Den Küstenort Collaton in Cumbria sucht sich kaum jemand freiwillig als Wohnort aus. Als der Patenonkel von Luisa MacGregors verstorbenem Mann Reuben sie unerwartet kontaktiert und ihr ein Grundstück zum Anlegen eines Gemeinschaftsgartens anbietet, lehnt sie auf der Stelle ab. Die Parzelle in der ungefähren Grösse eines Fussballfeldes eignet sich nicht für eine Bebauung und soll deshalb aus steuerlichen Gründen einem gemeinnützigen Zweck zugeführt werden.
Die sechsunddreissigjährige Luisa MacGregor ist eine talentierte Gartenarchitektin, doch ihre Fähigkeiten liegen brach und werden an einen ungeliebten Sekretariatsjob samt unausstehlichen Vorgesetzen vergeudet. Luisas Mann Reuben ist vor vielen Jahren bei einem Bergunfall ums Leben gekommen. Beide Eheleute hatten mit unterschiedlichen Spezialgebieten Gartenbau studiert. Reuben hatte sich intensiv mit Pilzen beschäftigt und mit seinem Charisma die Menschen begeistert. Zusammen wollte das junge Paar einen Gemeinschaftsgarten auf die Beine stellen. Die junge Witwe hat nicht nur ihren Mann beerdigt, sondern gleichzeitig auch alle gemeinsamen Träume vom Schaffen eines Ortes der Integration und Begegnung verschiedener sozialer Gruppen, verbunden durch gemeinschaftliches Gärtnern.
Luisa teilt sich mit ihrer Schwester Jo und dem Schwager in spe eine Wohnung. Nicht zuletzt, weil ihre Mitbewohner kurz vor der Hochzeit stehen, weiss sie, dass in ihrem Leben privat und berufliche Veränderungen notwendig sind, um endlich wieder Lebensfreude zu gewinnen und eine gewisse Leichtigkeit in ihren Alltag zu bringen. Sie besinnt sich um und schaut sich das Grundstück an. Die Hälfte des Areals ist asphaltiert, die andere Hälfte verwildert und überdeckt von Unrat und Trümmern einer Fabrikruine. Luisa verspürt plötzlich den Wunsch, sich dieser Aufgabe zu stellen, auch wenn ihr klar ist, dass sie zur Umsetzung des Projektes auf Hilfe angewiesen ist. Sie kündigt ihren Arbeitsvertrag und beginnt umgehend mit dem Entwickeln von Ideen. Die Dorfgemeinschaft soll mit einbezogen werden und die beschränkten finanziellen Mittel sinnvoll eingesetzt werden.
Die Einwohner von Collaton haben nicht auf Luisa gewartet. Der Garten erntet Ablehnung, bevor der erste Sämling gesetzt ist. Luisa geht mit einem Infoabend in die Offensive, doch die Einheimischen lassen sich nicht so einfach für das Projekt begeistern, geschweige denn dazu bewegen mitzuarbeiten. Die einzige Unterstützung kommt seitens des engagierte Lehrers Cas, der in seiner Freizeit einen Boxclub leitet und immer ein offenes Ohr und eine Mahlzeit für die sozial benachteiligten jungen Einwohner des Städtchens hat. Er stellt Luisa seinen Schreibtisch zur Verfügung und vermittelt (oder verdonnert) die siebzehnjährige Harper als Hilfe. Sie soll ihre Sozialstunden, die sie als Strafe kassiert hat, bei Luisa abarbeiten.
Es ist viel Schweiss und Mühe notwendig, bis das Altersheim regelmässig Blumensträusse sowie Früchte und Gemüse aus dem Garten erhält und der ehemalige Schandfleck als Bereicherung des Ortes angenommen wird. Die Leserin leidet besonders mit Harper mit, die auf ihren jungen Schultern viele Lasten und faktisch alleine die Verantwortung für den jüngeren (wohl autistischen) Bruder trägt und hofft, dass sie ihren Weg aus der familiären Misere findet. Harper ist technisch ausserordentlich begabt und Luisa vermittelt ihr die Möglichkeit, ihre theoretische Idee einer Wassergewinnungsanlage zu verfolgen und stellt ihr dazu sogar die Pilz-Forschungen von Reuben zur Verfügung.
Mit dem Spriessen des Grünzeugs findet auch Luisa wieder Lebensfreude, doch Sabotageakte bringen überwunden geglaubte Traumata wieder an die Oberfläche. Die Katastrophe eröffnet aber auch Chancen, Harpers Ideen in der Praxis umzusetzen und beweist, wieviel Positives das Gartenprojekt in Collaton bewegt hat.
Die authentischen Charaktere mit ihren Höhen und Tiefen sind von der Autorin authentisch gezeichnet. Gelegentlich fand ich nicht alle Handlungen durchgehend glaubwürdig, so wie die Nebengeschichte rund um Harpers Bruder Max und sein blumiges Geheimnis oder die Vorfälle rund Harpers vorbestraften Cousin Darren. Nichtsdestotrotz zählt die Lektüre zu meinen Lesefavoriten des diesjährigen Frühlings und ich beabsichtige, das Ende Sommer auf Englisch erscheinende Buch «The Secret Orchard» von Sharon Gosling zeitnah in der Originalsprache zu lesen.
Sharon Gosling:
Forgotten Garden
Dumont Buchverlag, 2024
Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.