Serena Avanlea: Zeit der wilden Rosen

Um es gleich vorweg zu nehmen – Rosen und gärtnern spielen in diesem «medizinischen» Roman eine eher untergeordnete Rolle, auch wenn der Titel anderes vermuten lassen könnte. Die Lektüre fand ich aber thematisch dermassen beeindruckend, dass ich doch hier im Sofagarten auf diese nicht mehr ganz druckfrische Publikation hinweisen will.

Auf das Buch «Zeit der wilden Rosen» bin ich gestossen, als ich herausfinden wollte, ob die Autorin Rena Rosenthal nach der mit hortikulturellen Details durchdrungenen Hofgärtnerinnen-Trilogie, die ich vor einiger Zeit während einer längeren Blogpause gelesen habe, inzwischen etwas Neues publiziert hat. Und tatsächlich hat Rena Rosenthal unter dem Pseudonym Serena Avanlea den Roman «Zeit der wilden Rosen» veröffentlicht. Zwar nicht kürzlich, sondern bereits vor der Saga rund um die Hofgärtnerin Marleene.

Der Roman «Zeit der wilden Rosen» gibt auf zwei Zeitebenen Einblick in düstere Familiengeheimnisse, die ihren Ursprung im England der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts haben. Im aktuellen Handlungsstrang verfolgt die junge amerikanische Ärztin Dalina jenseits des Atlantiks ehrgeizig ihre beruflichen Ziele, denen sie alles unterordnet. Als quasi einzige Freiheit gestattet sie sich eine heimliche Beziehung zu ihrem verheirateten Vorgesetzten.

Dalinas durchgeplanter Lebensentwurf gerät aus den Fugen als sie feststellt, dass sie ein Kind erwartet. Der werdende Vater geht ganz selbstverständlich davon aus, dass das unverhofft heranwachsende Problem mit einer Abtreibung beseitigt wird. Während in Dalina Zweifel hinsichtlich dieser Lösung aufkommen, erfährt sie, dass ihre Mutter vollkommen unerwartet in England ein Herrenhaus mit Umschwung geerbt hat. Dalina fliegt kurzerhand nach Europa, um mit etwas Abstand vom Alltag in Ruhe über ihre Schwangerschaft nachzudenken und im Auftrag der Mutter die Hintergründe zur Erbschaft abzuklären.

Das auf dem Hügel über Mayfield thronende Herrenhaus «Rose Hill» ist ziemlich heruntergekommen. Das imposante Gebäude wird von Rosen umrankt und von einem grossen vernachlässigten Garten umgeben. Dalina erfährt, dass es in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein vermeintlich fortschrittliches Sanatorium für psychisch Erkrankte beherbergt hat und ihr Grossvater und ihre Grossmutter hier gelebt haben. Sie stellt schnell fest, dass der Name ihres Grossvaters in Mayfield negative Assoziationen weckt, während der Erblasser Professor Berker hohes Ansehen geniesst und sogar die Strasse Richtung «Rose Hill» hinauf nach ihm benannt ist. Während ein Makler sie zum Verkauf des neun Hektaren Grundstücks drängt, wächst in ihr der Wunsch mehr über die Vergangenheit ihrer Grosseltern zu erfahren.

Im zweiten Handlungsstrang leidet die junge Frau Caitlin an epileptischen Anfällen. Ihre Mutter und der Bruder sind verstorben, und so ist sie als Tochter das Wichtigste im Leben des Vaters. Er vertraut die geliebte Caitlin seinem Schwager Dr. Berker an, der als Leiter des Sanatoriums «Rose Hill» davon überzeugt ist, seine Nichte kurieren zu können. Nachdem Caitlin zunächst alles Mögliche versucht, um diesen ungeliebten Ort schnell verlassen zu können, schlägt das Schicksal nochmals zu und sie muss sich auf einen längeren Aufenthalt in «Rose Hill» einstellen. Sie hinterfragt die Therapiemethoden und weil sie es nicht erträgt, untätig herumzusitzen, beginnt sie zu gärtnern und andere Patientin einzubinden. Daraus entwickelt sich die Ergotherapie.

Beide Erzählstränge sind einfühlsam und spannend geschrieben. Die Kapitel enden immer kurz vor einem Zwischenhöhepunkt, so dass ich die Lektüre nur ungern unterbrochen habe. Ich habe schon oft Tatsachenberichte über frühere Behandlungsmethoden in psychiatrischen Einrichtungen gelesen. In einem Roman erwartet man diese Thematik wohl weniger, aber das Thema ist hier nicht weniger beklemmend. Auch unter Berücksichtigung der Differenzen zwischen damaligem und heutigem Wissen sind die im Roman sehr detailliert beschriebenen Therapiemassnahmen wie Zwangsbäder oder Lobotomie mit denen Depressionen, Epilepsie und Trisomie 21 behandelt worden sind, gelinde ausgedrückt erschreckend.

Den ausgesprochen bösen und egoistischen Charakteren, die ihrem wissenschaftlichen Ansehen die tatsächlichen Bedürfnisse der ihnen anvertrauten, wehrlosen Patienten ignorieren oder im Sinne der Forschung als irrelevant betrachten, stehen aber auch liebenswerte Typen gegenüber. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte und so wie die Rosen im Roman ohne jegliche Pflege wachsen und gedeihen, sind auch einige andere Details wie etwa Caitlins nächtliche Erkundungsgänge durch die Flügel und Keller von «Rose Hill» Teil der dichterischen Freiheit.

Falls Sie als lesende Gärtnerin oder gärtnernde Leserin die Hofgärtnerinnen-Saga plus die Bonus-Story noch nicht kennen sollten, kann ich diese gerne empfehlen. Die Handlung spielt Ende des 19. Jahrhunderts in Oldenburg. Selten finden sich Romane, die besser in den Sofagarten passen! Anschliessend hoffen Sie sicher ebenfalls, dass die Trilogie zur Tetralogie wird.

 

Serena Avanlea:

Zeit der wilden Rosen

Eigenverlag, 2019

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selbst gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Related Posts

Begin typing your search term above and press enter to search. Press ESC to cancel.

Back To Top