Helen Frances Paris: Der wunderbare Garten der Mrs P.

Seit sieben Jahren hat die pensionierte Nachrichtendienstmitarbeiterin Janet Pimm eine von Hundertzwanzig Parzellen der Gartenkolonie Seaview gepachtet. Ordnung und Routine bestimmen den Alltag der zweiundsiebzigjährigen Frau. Sie liebt ihren Garten über alles, kennt alle ihre Pflanzen und deren Bedürfnisse und weiss, welches Kraut bei welchem Leiden hilfreich ist. Weniger interessiert sie sich für ihre Gartennachbarn, die ihrerseits den Kontakt mit ihr meiden.

Janet Pimm liebt insbesondere ihre zahlreichen Immergrünen, die auch im Winter für Struktur und einen eben frisch grünen Anblick sorgen. Denn während die Nachbargärtner hauptsächlich Essbares für daheim oder die Gassenküche anziehen, hegen und pflegen, freut sich Mrs P. an Grüntönen in unendlichen Varianten: Apfelgrün, Limettengrün, Lindgrün, Jagdgrün, Smaragdgrün, Irischgrün, Tannengrün, Meergrün und an der Bienenragwurz, die im Wiesenstreifen zwischen Wildblumen am Parzellenrand wächst.

Die grauhaarige Gärtnerin ist wann immer möglich tagtäglich auf ihrer Parzelle. Doch ihr umfangreiches Wissen über Botanik und biologischen Pflanzenschutz ist den anderen Pächtern mehrheitlich suspekt. Dazu kommt, dass Janet Pimm auf andere mangels offener Kommunikation oft überheblich wirkt. Sie führt deshalb ein unsichtbares Leben und wird oft übersehen. Und sie ist einsam. Das war nicht immer so. Eine jüngere Nachbarin, die Hebamme Bev, versucht immer wieder vergeblich, Kontakt mit Janet aufzunehmen. Doch letztere empfindet die Einladungen als übergriffig und blockt alle Bestrebungen sofort ab oder ignoriert sie.

Als Mrs P. zufällig auf ein Inserat des National Trusts stösst, bewirbt sie sich mit der Überzeugung, die ehrenamtliche Stelle schon auf Sicher zu haben. Sie spürt eine Aufbruchstimmung, doch ihre konkreten Erwartungen werden bitter enttäuscht. Es bleibt allerdings nicht viel Zeit für trübe Gedanken, denn diese werden durch eine Hiobsbotschaft verdrängt. Am Rand der Gartenparzellen wird Staudenknöterich gefunden, eine invasive (Heil-)Pflanze, bei deren Auftreten gemäss Artenschutzverordnung dringende und radikale Massnahmen erforderlich sind. Der Stadtrat will die Gartenkolonie Seaview schliessen.

Aus Ihrer Zeit beim Geheimdienst weiss Janet Pimm, dass Informationen immer aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und interpretiert werden müssen. Und es sind Beweise von Nöten. Bei ihren Nachforschungen in der Knöterichwiese und im Internet stösst die pensionierte Nachrichtendienstmitarbeiterin auf verschiedene Ungereimtheiten, die einen Verdacht aufkeimen lassen.

Die Gartenkolonie Seaview ist die grösste noch unbebaute Grünfläche der Stadt. Bereits das Strandbad und der Cricketplatz haben Überbauungen weichen müssen. Mal sind es Luxuswohnungen, mal einstöckige Discounter mit Parkplätzen, die unversiegelten Flächen zum Verschwinden gebracht haben. Aus ihrem Berufsleben kennt Mrs P. das Funktionieren von Insiderdeals, geheimen Handschlägen und Freimaurer-Codes und sie weiss um deren Gefährlichkeit.

Mrs P. schleppt verschiedene Lasten aus der Vergangenheit mit sich herum – Verluste, das Gefühl nicht genug für die eigenen Bedürfnisse eingestanden zu sein, aber auch schwere Schuldgefühle. Ab wann ist in ihrem Leben alles schief gegangen und wo sind die zahlreichen Freundinnen und ihre Beliebtheit aus früheren Jahren geblieben? Sie will ihren Garten nicht kampflos aufgeben und deshalb eine ehemalige, weit entfernt wohnenden Arbeitskollegin besuchen und um deren Unterstützung bitten. Auf dem Weg zum Bahnhof wird sie von Bev aufgegabelt, die ihr in anbietet, sie rasch zum Bahnhof zu fahren. Aus der kurzen Fahrt entwickelt sich spontan ein gemeinsamer mehrtägiger Trip mit etlichen, teils lebensgefährlichen Hindernissen.

Die offene und kommunikative Bev steckt in einer Krise. Zwar liebt sie ihren Beruf über alles, aber viel zu viel Zeit und Energie geht für administrative Tätigkeiten drauf, statt für das Wohlergehen der gebärenden Patientinnen. Und Bev leidet unter heftigen Wechseljahrbeschwerden und will nicht länger akzeptieren, dass natürliche Veränderungen, welche rund die Hälfte der Bevölkerung betreffen oder irgendwann betreffen werden, dermassen tabuisiert werden.

Trotz Altersunterschied können sich die beiden unterschiedlichen Frauen mehr unterstützen, als es zunächst den Anschein macht. Sie retten sich nicht nur gegenseitig, sondern kämpfen miteinander für das Weiterbestehen der Gartenkolonie Seaview Seite an Seite gegen den Stadtrat und sie finden heraus, dass der Beruf der Hebamme und das Gärtnern etliche Parallelen aufweisen.

Der emotionale Roman hat einen umfangreichen hortikulturellen Hintergrund. Die Autorin vermittelt ganz nebenbei pflanzliche Informationen, etwa zum pflanzlichen Ursprung der Inhalte von Aspirin oder dass Stoffe aus Narzissen in Alzheimermedikamenten stecken und auf einer Wanderung wird der weichhaarige Pippau (Crepis mollis) gesucht.

Die direkte Rettung der Gartenkolonie selber gerät zuweilen in den Hintergrund, ist aber der rote (oder grüne) Faden der sich durch die ganze Lektüre zieht. Auf den letzten Buchseiten überschlagen sich die Ereignisse. Vielleicht wäre etwas weniger auch genug gewesen. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau, auch wenn es vermutlich bedeutet, dass es keine Fortsetzung geben wird. So oder so ist «Der wunderbare Garten der Mrs P.» von Helen Frances Paris ist für mich eines der besten Bücher des diesjährigen Lesefrühlings, wenn nicht sogar das berührendste.

 

Helen Frances P.: 
Der wunderbare Garten der Mrs P.
dtv, 2024

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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