Jessica Potthast: Wilde Hoffnung

Die achtundzwanzigjährige Emilia aus Oldenburg hat extrem konkrete Vorstellungen, wie ihr künftiges Leben ablaufen wird. Mit ihrer Jugendliebe Max ist sie seit vielen Jahren zusammen und es ist geplant nach Studienabschluss den temporären Lebensmittelpunkt Berlin wieder Richtung Heimat zu verlassen und gemeinsam den Hof von Emilias Eltern zu übernehmen.

Als die junge Frau nach einem mehrmonatigen Aufenthalt ohne Max in Australien zurück in die Hauptstadt kommt, eröffnet ihr eben dieser das Ende der Beziehung und dass er nun mit seiner neuen Freundin in der gemeinsamen Wohnung lebt. Emilia kann zunächst bei ihrer Freundin Anne unterkommen. Doch diese Lösung ist nur temporär und eine günstige Wohnung muss schnell gefunden werden. Ein Inserat weckt die Aufmerksamkeit der niedergeschlagenen Studentin – Kostenlos 18 qm-Zimmer in Altbau gegen Hilfe im Haushalt und Hundebetreuung.

Schon bei der Besichtigung stellt Emilia fest, dass die Vermieterin Vera Rosentreter eine äusserst schwierige Zeitgenossin ist. Obwohl die Lage der Wohnung und ihr Zimmer im Altbau traumhaft sind, zweifelt die Studentin angesichts der missmutigen Hausherrin am Gelingen des Arrangements, lässt es aber auf einen Versuch ankommen. Das Zusammenleben gestaltet sich erwartungsgemäss schwierig. Vera Rosentreter lebt völlig zurückgezogen und pflegt keinerlei Kontakte. Und das liegt keineswegs nur an ihrem zurzeit lädierten Fuss.

Tränenvergiessen über das Ende der Beziehung mit Max und den Verlust der sich in Luft aufgelösten Zukunftsträume bringen Emilia nicht weiter. Die Kommunikation mit der Vermieterin ist schwierig, da jedes Gespräch damit endet, dass diese gekränkt ist. Emilia zwingt sich durchzuhalten und nicht gleich wieder auszuziehen. Wohin soll sie denn auch ohne Geld? Bei Vera hat sie immerhin ein Dach über dem Kopf und Zeit, an ihrer Masterarbeit zum Thema Umwelt zu schreiben. Warum nur meckert die verwitwete Vera ständig herum?

Emilias Zimmerausblick in den verwilderten, ungepflegten Hof verleitet sie regelmässig zu Tagträumen. Sie sieht Potential für eine Verwandlung des trostlosen durch einen Zaun zweigeteilten Innenhofs in eine grüne Oase. Von ihrer Grossmutter ist der jungen Frau nämlich ein grüner Daumen vererbt worden und vor ihrem Umzug nach Berlin hat gärtnern zu ihrem Alltag gehört. Erst gemeinsam mit der Grossmutter auf deren Gemüseacker, nach deren Tod zusammen mit ihrer Mutter. Während Emilia in der alten Wohnung ihre grüne Leidenschaft mit Margeriten, Portulakröschen und Vanilleblumen und dem Anziehen von Tomaten und Kräutern ausgelebt hat, gibt es bei der verbitterten Vera nicht mal Pflanzen auf dem Balkon,

Schliesslich beginnt Emilia ihre Fantastereien in konkrete Pläne umzusetzen und bestellt im Internet ein kleines Hochbeet, das sie im Frühling mit selber ausgesäten und gezogenen Sommerblumen und Gemüse bepflanzen will. Die eher schüchtern junge Frau freundet sich mit verschiedenen Nachbarn an – da gibt es etwa Anette mit Lichtdermatose, die sich nur nachts nach draussen wagen kann. Emilias erste Begrünungsversuche werden mit Eifer von mehreren Kindern aus dem Quartier unterstützt und sie lernt Lars kennen, der in einer riesigen Wohngemeinschaft im Nachbarhaus wohnt, deren Bewohner nicht nur Vera suspekt sind. Lars entpuppt sich als Guerilla Gärtner mit eigenem erfolgreichem YouTube-Kanal und macht als Blumenkrieger das Quartier grüner.

Im Laufe der Jahreszeiten entwickelt zwischen grossen und kleinen Bewohnern auf beiden Seiten des trennenden Zauns, der bald weichen muss, ein Zusammenhalt, der auf der gemeinsamen Gartenarbeit und Begrünung des Innenhofs gründet. Inzwischen gibt es sechs Hochbeete und es finden gemeinsame Essen aus der Ernte derselben statt. Zu diesem Urban Gardening gehört auch eine Ecke mit Pflanzen, die besonders nachts ihre Reize entfalten, so wie etwa Mondviolen (Lunaria). So kann auch das Mondscheinkind Anette den Garten aus nächster Nähe geniessen und muss sich nicht mit Blicken aus dem Fenster auf den Hof begnügen.

Nicht nur der triste Innenhof macht eine grosse Verwandlung durch und sorgt damit für ein zentrales hortikulturelles Element in der Lektüre. Emilia überwindet die Trennung von Max und lernt vom grundsätzlich ohne Pläne in den Tag hineinlebenden Lars, dass nicht fortwährend zwingend alles detailliert überlegt und im Voraus durchdacht werden muss. Die Bewohner und auch der Hund Odin fühlen sich jedenfalls sehr wohl im umgestalteten Hof, doch die Tage der grünen Oase mit dem Motto «miteinander und teilen» scheinen bereits gezählt. Dies und wie sich schliesslich sogar Vera in eine geschätzte, ja geliebte Ersatzoma verwandelt, lohnt sich nachzulesen in «Wilde Hoffnung» von Jessica Potthast. Nun würde ich abschliessend noch gerne erfahren, wie man eine Berberitze klettern lassen kann. Eine Kletterberberitze fehlt nämlich in meiner ziemlich umfangreichen Sammlung dieser Kleingehölze tatsächlich noch.

 

Jessica Potthast:

Wilde Hoffnung

Droemer Knaur, 2022

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Related Posts

Begin typing your search term above and press enter to search. Press ESC to cancel.

Back To Top