Barbara Tapasco: Die letzten Eschen

Zu Eschen habe ich ein zwiespältiges Verhältnis, das ich vor rund fünfzehn Jahren hier im Blog thematisiert habe. Ich schrieb dannzumal über das never-ending-Jäten von Eschensämlingen und sinnierte über die Eröffnung einer Eschen-Baumschule und allfällige überzeugende Werbestrategien. Nach wie vor keimen jährlich Dutzende Eschensämlinge bevorzugt an schlecht erreichbaren Stellen zwischen den Hainbuchenstämmen. Jetzt ist (oder besser wäre, wenn frau sich aufraffen würde) die beste Zeit, sich um das Entfernen derselben zu kümmern. Schliesslich sind die unerwünschten Dinger nie so einfach auszumachen wie im Winter.

Weder habe ich in der Zwischenzeit eine Baumschule eröffnet, noch mir weiterführenden Gedanken über Marketingstrategien gemacht. Das angedachte Projekt wäre wahrscheinlich sowieso zum Scheitern verurteilt, wenn man das auch in der Schweiz wütende Eschentriebsterben berücksichtigt, verursacht durch einen aus Ostasien eingeschleppten Pilz (Hymenoscyphus fraxineus). Auch die Bedrohung durch den Eschenprachtkäfer (Agrilus planipennis), ebenfalls asiatischer Herkunft, spricht dagegen. Die Ausbreitung dieses Eschenschädlings nach Südwesten, sprich in die Schweiz, ist wohl auch nicht aufzuhalten.

Dafür habe ich kürzlich das Buch «Die letzten Eschen» von Barbara Tapasco gelesen, in dem die Esche als Baum der Jugend die Hauptrolle spielt. Ich verrate sicher nicht zu viel, wenn ich an dieser Stelle offenbare, dass den letzten Eschen aus diesem Fantasyroman keine asiatischen Pilze oder Käfer das Leben schwer machen. Zum Inhalt:

Im Königreich Korasi ist zumindest oberflächlich betrachtet die Welt in Ordnung. Es herrscht Frieden, die Einwohner haben ein Auskommen und sie sind mit ihrem hundertfünfundzwanzigjährigen König Jeris zufrieden. Nur wenige Menschen in Korasi erreichen das vierzigste Altersjahr. Seit mehreren Jahrzehnten wütet eine Seuche im Land, von der einzig ganz junge Menschen verschont werden. Wer befallen ist, stirbt innert weniger Tage.

Das Volk hat sich mit der Seuche abgefunden, während die sogenannten Nemetons als Bindeglieder zwischen Menschen und Pflanzen in der vom König gegründeten Akademie scheinbar ohne Erfolg nach Heilmitteln forschen. Gleichzeitig mit dem Ausbruch der Seuche hat in Korasi das Eschensterben angefangen. Die wenigen noch existierenden Eschen werden streng bewacht und es ist unter Androhung der Todesstrafe verboten, die entsprechenden Wälder zu betreten.

Die achtzehnjährige Wanere ist nicht nur eine überaus talentierte Spitzenklöpplerin, deren Handwerkskunst von der königlichen Familie getragen wird, sie hat auch seit dem Kleinkindalter eine unerklärliche, ganz besondere Verbindung zu Pflanzen. Gerne hätte die junge Frau die Akademie besucht, in welcher ab dem siebten Altersjahr die Nemetons ausgebildet werden. Doch ihre Eltern konnten sich diese Ausbildung nicht leisten. Trotz dem Fehlen dieser Schulung hat sich Wanere Fähigkeiten angeeignet, die eigentlich diesen Nemetons vorbehalten sind. Teils instinktiv und teils durch Informationen aus dem Kontakt mit ihrer Freundin Karya, welche die königliche Bildungsstätte besucht.

Nun ist Waneres Mutter an der Seuche erkrankt. Die Tochter räuchert das Haus mit Wacholderzweigen aus. Wirksamere Mittel stehen im Königreich offiziell nicht zur Verfügung. Grundsätzlich können nur Nemetons Kraft aus den Bäumen schöpfen. Doch Wanere verfügt über einen aussergewöhnlich ausgeprägten Geruchssinn und ein starkes Gespür für die vielblättrigen hohen Waldbewohner. Diese Fähigkeiten stempeln sie unter den Dorfbewohnern zur Aussenseiterin, weshalb sie diese Eigenschaften verbirgt. Aufgrund der durch von der Krankheit verursachten Gerüche vermutet Wanere, dass die Seuche eine Verbindung mit Eschen aufweist und diese Gehölze der Schlüssel zur Heilung sein könnten. Sie ahnt, dass ein aus Eschensamen gewonnenes Heilmittel im Kampf gegen die Seuche von Nutzen sein könnte, da es die Kräfte und das das Potential enthält, eine grosse, starke Esche zu werden. Diese einzige Chance, das Leben ihrer Mutter zu retten, will sie unbedingt nutzen und stiehlt trotz Verbot aus dem königlichen Eschenwald mehrere Eschennüsschen. Aus diesen Samen erstellt sie einen Sud, den sie ihrer kranken Mutter verabreicht. Ihrer Mutter geht es tatsächlich bald besser.

Doch Wanere ist beim Stehlen der Eschenflügelnüsschen vom Wächter Nahren beobachtet worden. Er bittet sie daraufhin eindringlich, ihr Wissen bei anderen Kranken anzuwenden und die junge Frau willigt eher widerwillig ein, dieses Risiko einzugehen. Nahrens Diebstähle von Eschensamen und Waneres Heilsud müssen unbedingt ein Geheimnis bleiben. Trotz grosser Sicherheitsmassnahmen wird es jedoch immer schwieriger, dieses zu wahren, je mehr kranke Menschen sich plötzlich dank der Eschenbehandlung von der Seuche erholen. Die Gerüchteküche im Königreich brodelt. Der Monarch Jeris setzt alles daran, den Diebstahl der Eschennüsschen und die Heilungen zu unterbinden. Er will unbedingt die dafür Verantwortlichen ausfindig machen und schliesslich wird Nahren festgenommen.

Wanere ihrerseits kommt in Kontakt mit den sogenannten Parasiten, fähigen Nemetons ohne Akademieausbildung und königliche Akkreditierung. Im Kreis dieser Menschen fühlt sie sich sofort aufgenommen und erfährt, woher ihre Fähigkeiten stammen und lernt, über Gedanken mit Menschen und Bäumen zu kommunizieren. Die königstreue Wanere beginnt, das machtbesessene und egoistische Verhalten des alleinherrschenden Königs zu hinterfragen und gleichzeitig an seinen Absichten zu zweifeln. Weshalb ist die Verbindung zwischen den Eschen und der Seuche nicht allgemein bekannt?

Parallel macht Prinz Arin, Enkel und Thronfolger von Jeris, eine ähnliche Entwicklung durch. Vom oberflächlichen Frauenhelden, der bedingungslos den Anweisungen des Monarchen von Korasi folgt, entwickelt er sich im Laufe der Lektüre weiter und gewinnt an Reife. Dank intensiven Gesprächen mit der inhaftierten Nemeton-Meisterin und Parasitin Auriga, einer früher engen Vertrauten von Jeris, beginnt der Kronprinz das Verhalten des Königs zu reflektieren. Arin ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, seine Augen vor den Tatsachen zu verschliessen und der immer dringenderen Notwendigkeit, sich gegen den egoistischen Grossvater zu stellen, der in seinem egoistischen Wahn von ewiger Jugend gefangen ist. Doch wie wird das Volk reagieren, wenn es feststellt, dass für den König ausschliesslich dessen eigenes Wohl von Bedeutung ist?

Mit «Die letzten Eschen» hat Barbara Tapasco eine glaubwürdige und klug durchdachte Welt rund um Bäume und Magie geschaffen, basierend auf ihrer eigenen Liebe zur Natur. Als Inspirationsquelle dienen ihr die eigenen Waldspaziergänge. Im Buch wie in der Natur gilt, dass in Wechselwirkung alle Lebewesen miteinander verknüpft sind und jegliche Eingriffe sowohl vorhersehbare als auch unvorhersehbare Kettenreaktionen auslösen. Ich lese selten Fantasybücher und habe als Schnell-Leserin jeweils etwas Mühe, bis ich mir in diesem Lesegenre die ungewohnten Namen und Funktionen merken kann, was meinen Lesefluss behindert. Nachdem ich mich «eingelesen» hatte, fand ich die Lektüre «Die letzten Eschen» äusserst faszinierend. Es gibt einige traurige Momente, auch Liebesbande zwischen Protagonisten werden geknüpft, im Vordergrund stehen aber durchgehend die Eschen und ihre Rettung.

In unserem Garten sterben seit einigen Jahren immer öfter Hainbuchen ab und die Hecke weist Lücken auf, die inzwischen sogar im Sommar nicht mehr vollumfänglich durch das Laub verdeckt werden, und erfüllt ihren Zweck als Sichtschutz nur noch eingeschränkt. Vielleicht sollte ich die Eschensämlinge als Gewinn betrachten und diese einfach wachsen und die Lücken füllen lassen?

 

Barbara Tapasco:

Die letzten Eschen

Totechöpfli, 2022

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selbst gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Related Posts

Begin typing your search term above and press enter to search. Press ESC to cancel.

Back To Top