Chelsea Flower Show 2023

Ueber meinen Besuch der Chelsea Flower Show hatte ich schon seit vielen Jahren ein recht konkretes Bild im Kopf, das ich mir aus TV-Beiträgen, Büchern, Gartenzeitschriften und den sozialen Medien zusammengereimt hatte. Passende Schlagworte wären da elitäre und herausgeputzte Schaugärten, zur Unzeit blühende Blumen, ein grosses Gedränge und fein ausstaffierte Besucherinnen und Besucher. Im Mai 2022 fand ich den Zeitpunkt für gekommen, die ewige Verschieberei auf das Folgejahr zu beenden und buchte eine Gartenreise nach England mit Besuch der Chelsea Flower Show 2023 am Freitag (Publikumstag).

Unter einzelnen Mitreisenden und der Reiseleiterin mit praktischer Besuchserfahrung aus früheren Jahren gingen anlässlich des Pub-Besuchs am Abend vor dem Reisehöhepunkt die Meinungen darüber auseinander, ob das Royal Hospitality-Ausstellungsgelände gross sei oder nicht und ob ein paar Stunden reichen, die zahlreichen Gärten und die «gefährliche Strasse» anzuschauen. Ich war jedenfalls insgeheim überzeugt, die zur Verfügung stehende Zeit sei zu kurz bemessen.

Als wir am Freitagmorgen nach neun Uhr bei schönstem Wetter auf dem Gelände eintrafen, schlugen wir direkt den Weg zu den Schaugärten ein. Der Publikumsaufmarsch war schon beträchtlich und so war es leider bereits zu dieser Tageszeit nur erschwert möglich, mehr als einen schnellen und oberflächlichen Blick – aus einer oft eher ungünstigen Perspektive – auf die Themengärten zu werfen. Geduld war angesagt und es war nicht immer eindeutig auzumachen, wo man sich in eine Schlange einzureihen hatte. Positiv zu erwähnen ist aber, dass es nirgends zu Drängeleien kam.

Wurde in den Showgärten tatsächlich Unkraut mit Pinzetten eingesetzt? Das kann ich nicht beurteilen, aber es war unschwer festzustellen, dass die Themengärten dem Zeitgeist hinsichtlich Biodiversität und Wildblumen folgten und inzwischen beispielsweise auch Löwenzahn und Brennnesseln salonfähig oder eben ausstellungswürdig sind. Formale Strukturen werden zuweilen durch ungezähmt in den Weg wachsende Pflanzen aufgelockert und hie und da wurde auch essbares Grünzeug zwischen Pflanzen eingesetzt, die ansonsten hauptsächlich das Auge erfreuten. In diesem Jahr wurden auch zum ersten Mal in der langen Chelsea Flower-Show-Geschichte Pilze präsentiert.

Horatios Garden Sofagärtnerin

Ein weiteres erstes Mal war 2023 das auf Menschen mit Mobilitätsproblemen zugeschnittene Design von «Horatios Garden». Neben der naturnahen Bepflanzung zogen hier besonders die beeindruckenden Steinhaufen («Tactile stone Cairns») die Aufmerksamkeit auf sich. Das rollstuhlgängige Gartenprojekt wird nach der Show in Sheffield das Herzstück von Horatio’s Garden Sheffield & East bilden.

Inspiriert vom Garten des Landsitzes «Benton End», dem Zuhause des 1982 verstorbenen Maler, Pflanzensammler und -züchter Cedric Morris, hat Sarah Price den viel beachteten «The Nurture Landscapes Garden» entworfen. Warme Farben in unterschiedlichen Schattierungen dominierten diesen Showgarten, der die Betrachterin an ein Bild in sanften Tönen erinnerte. Schon ausserhalb der Ausstellungsfläche erweckten auffallende Waldkiefern (Pinus sylvestris) beim Näherkommen Aufmerksamkeit. Die Nadelgehölze bildeten zusammen mit silberlaubigen Ölweiden (Elaeagnus angustifolia «Quicksilver») das Rückgrat für eine natürliche Bepflanzung mit beispielsweise Iris Benton Olive und Iris Benton Susan sowie Allium siculum, durch welche terracottafarbene Wege mäandrierten.

War es schon schwierig sich einen detaillierteren Eindruck über die Themengärten zu verschaffen, war es nahezu unmöglich, die Künstlergärten genauer zu betrachten. Wir haben uns deshalb mit einem Blick über die Köpfe der Besucher hinweg begnügt. Nach einer kurzen Churros-Pause an einem Wegrand (die Schlangen an den «richtigen» Essständen waren viel zu lang und Sitzplätze nicht verfügbar) schlugen wir den Weg Richtung Grosser Pavillon ein. Natürlich suchten wir nicht als einzige dort Schatten und dementsprechend war es ein Ding der Unmöglichkeit, die Halle wie angedacht strukturiert zu passieren, so dass wir die Wege anhand sich auftuender Lücken wählten.Sarah Price Sofagärtnerin

Nachdem die Narzissen in diesem nassen Frühling hierzulande fast unendlich lang geblüht haben, (schon wieder) blühende Narzissen in zahlreichen verschiedenen Blütenformenformen betrachten zu können, war bemerkenswert. Lila Alliumkugeln arrangiert neben Amaryllis, die gleichzeitig in Vollblüte stehen, empfand ich als gewöhnungsbedürftig. Die präsentierten Bäume und Stauden waren ohne Ausnahme makellos – seien es Japanische Ahorne mit Blättern in verschiedenen Farben und Formen, oder Funkien, Lupinen, Elfenblumen, Nelken, Sterndolden und viele andere mehr – die verantwortlichen Gärtnerinnen und Gärtner boten den Besuchern einen visuellen Feiertag.

Mit der Verwendung von Co2-reduziert (teilweise direkt vor Ort) produzierten oder recycelten Materialien und Dachbegrünungen wird versucht, den ökologischen Fussabdruck dieses jährlichen Showspektakels zu minimieren. Aber ein mehrtägiger Anlass in diesen Dimensionen und für den ein solch immenser Aufwand betrieben wird, wird niemals nachhaltig sein. Der Besuch ist nichtsdestotrotz ein eindrückliches Erlebnis.

Wiederholen werde ich den Chelsea Flower-Besuch eher nicht. Jedenfalls ganz bestimmt nicht an einem Publikumstag. Viele Besucherinnen sind tatsächlich sehr schön gekleidet, oft in auffälligen floralen Stoffen und mit Kopfbedeckung. Nur ein einziges Mal habe ich auf der sogenannten «gefährlichen Strasse» (Gartenprodukte, Pflanzenneuheiten, Gartenwerkzeug, Samen, Deko usw.) den Geldbeutel gezückt. Nämlich am Stand einer meiner Lieblingsstickkünstlerinnen, die heuer zum ersten Mal an der Chelsea Flower Show teilnahm und wo ich ein vorbestelltes Embroidery Kit abholte. Leider war der wunderschöne Stand völlig überlaufen, so dass ich Jo Butchers ausgestellte Kunstwerke leider ebenfalls nicht wie erwünscht bewundern konnte.

Angesichts des immensen Publikumsaufmarsch waren knapp sechs Stunden Besuch des – nach meinem Empfinden nicht sehr grossen Ausstellungsgeländes – aber tatsächlich ausreichend. Es gelang uns, auch den einen oder anderen Blick auf TV-Gärtnerinnen und Gärtner zu werfen. Und abschliessend lag sogar noch ein kurzer Abstecher in den fast um die Ecke liegenden ruhigen Chelsea Physic Garden drin, bevor wir beim Busfahren (oder -stehen) zurück ins Hotel im freitäglichen Londoner Feierabendstau die vielen Eindrücke reflektieren konnten.

(Dieser Artikel ist in der Ausgabe Sommer 2023 des Vivace, der Mitgliederpublikation der Gesellschaft Schweizer Staudenfreunde GSS, erschienen)

 

 

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