Melissa da Costa: Apfeltage

Führen Sie Gartentagebuch oder notieren Sie in einem Kalender, was gerade im Garten im zu tun ist, wo Sie was gepflanzt haben und welche Staudenkombination perfekt gelungen ist? Und haben Sie sich schon einmal überlegt, ob solche Notizen bei einem allfälligen Zurücklassen des Gartens vielleicht zusammen mit dem Gartenwerkzeug an den neuen Besitzer übergeben werden sollen?  Oder wissen Sie schon jetzt, dass weder das eine noch das andere in Frage kommt? Meine Gartentagebücher umfassen viel mehr als nur Einträge zu Pflanzen und Wetter. Und gerade über die zuletzt immer häufigeren Umplatzierungen von Grünzeug führe ich eher nachlässig Buch. Über unvorhersehbare Folgen von über Jahre in Kalendern angebrachten Gartennotizen geht es im berührenden Roman «Apfeltage» der jungen Autorin Melissa de Costa (Jahrgang 1990).

Eben hat sich die hochschwangere Amanda noch unbeschwert auf das in Reichweite liegende Familienglück zu dritt gefreut und nun steht sie vor einem Scherbenhaufen. Ihr Mann ist bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Unmittelbar darauf hat ihr Töchterchen zu früh das Licht der Welt erblickt und war nicht lebensfähig. Von Kummer betäubt flüchtet die junge Frau daraufhin kurz vor ihrem 30. Geburtstag von Lyon weg in die Auvergne. In einem alten, einsam im Wald gelegenen Haus mit einem seit Jahren vernachlässigten Garten gibt sie sich ihrem unendlichen Schmerz und ihrer Trauer hin.

Amanda verliert in dem Tag und Nacht verdunkelten Haus jegliches Zeitgefühl. Ein plötzlich drinnen herumflatternder Schmetterling bringt sie aus der Fassung und zwingt sie mit seinem Eindringen, ihren eigenen Kokon für einen Moment zu verlassen. Mit einer Katze, die wiederholt auf der Matte vor der Haustüre liegt, dringt ein weiteres Tier in ihr Leben. Noch ein Lebewesen, das ihr Angst macht, aber ihr auch durch seine Bedürfnisse einen Stoss versetzt, sich wieder mit den Herausforderungen des Alltags zu beschäftigen und ihre Lethargie zumindest kurzzeitig zu überwinden.

Beim Aufräumen entdeckt Amanda alte mit handschriftlichen Notizen und Rezepten vollgekritzelte Kalender, die vom Gartenleben der Mutter ihrer Vermieterin erzählen. Ein Leben, das nach einem Verlust durch Säen, Pflanzen und Ernten im eigenen Garten wieder einen Sinn und eine Aufgabe gefunden hat. Zunächst mit Hilfe dieser Kalendereinträge macht sich Amanda daran, sich dem Garten zu widmen. Sie jätet Unkraut, schützt die Pflanzen vor Frassfeinden und baut Folientunnel.  Bald sucht sie nach ergänzenden Informationen in einem Gartenbuch. Und so wie die junge Frau an den Herausforderungen ihrer Gartenprojekte wächst und die Beete aufblühen, findet Amanda Spatenstich um Spatenstich raus aus ihrer immensen Trauer und schöpft wieder Lebensmut.

Von Melissa da Costa ungeschönt und vollkommen glaubwürdig erzählt, wird die Leserin bereits mit den ersten Zeilen dieses Buches mitten in Amandas Katastrophe katapultiert. Ein traurig-schöner Roman über Verlust, Hoffnungslosigkeit, Mut und natürlich Äpfel.

 

Melissa da Costa:

Apfeltage

Penguin Verlag, 2023

 

Alle in diesem Beitrag erwähnten Bücher habe ich selber gekauft. Ich bin niemandem gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet und generiere keine Einnahmen aus den im Sofagarten vorgestellten Büchern.

 

 

 

 

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