Vita Sackville-West und Harold Nicolson: Sissinghurst – Portrait eines Gartens

Jeder Gärtner, der schon ein wenig mehr als nur ein paar Meter über seinen eigenen Gartenzaun geschaut hat, ist irgendwann auf den Namen Sissinghurst gestossen oder erkennt den markanten Doppelturm auf Fotos wieder. Verschiedene Bücher sind über diesen berühmten, vielleicht sogar berühmtesten englischen Garten geschrieben worden und je nach Quelle zählt er bis gegen 200’000 Besucher jährlich. Auch wer (wie ich) die verschiedenen Gartenräume nur von Fotos kennt, kann sich unschwer vorstellen, wieviel Arbeit hinter der Anlage und dem Erhalt stecken muss. 

Der Vor- (eigentlich Vorvor-)besitzer hat die Umgebung der Gebäude als Entsorgungsplatz benutzt und mit dessen Räumung waren die Käufer Vita Sackville-West und Harald Nicolson Anfang der 1930er Jahre noch lange beschäftigt. Trotzdem haben sie es geschafft, noch vor Ausbruch des 2. Weltkrieges einen bereits dannzumal über die Grafschaft Kent hinaus bekannten Garten zu schaffen, der von den sogenannten «Schillingen» (ihre etwas despektierliche Bezeichnung für die zahlenden Besucher, zurückzuführen auf den damaligen Eintrittspreis) schon dannzumal bald mitfinanziert worden ist. 

«Portrait eines Gartens» ist eine Zusammenstellung von Tagebucheinträgen, Briefen, Gartenkolumnen und Rundfunkbeiträgen und bietet in dieser Kombination nicht nur eine fundierte Einsicht in die Entstehungsgeschichte rund um das Anlegen der verschiedenen Themengärten von Sissinghurst, sondern gleichzeitig auch Einblick in eine unkonventionelle Ehe. Gemäss den Texten basierte diese auf Respekt, Liebe und Vertrauen, obwohl sie für die Aussenwelt unter anderem durch gleichgeschlechtliche aussereheliche Beziehungen zuweilen anderes wahrgenommen wurde, ja einen gegenteiligen Eindruck erweckte. 

Gemäss erprobter Aufgabenteilung war Harold für den Gartenentwurf zuständig und Vita für die Bepflanzung. Hortikulterelle Differenzen zwischen der Romantikerin und dem Klassiker gehörten zum Alltag, aber sämtlich wichtige Entscheidungen wurden immer gemeinsam getroffen. So entstanden verschiedene Gartenräume wie etwa der Rosengarten, der Lindengang, der berühmte Weisse Garten, der Grabengang und der Kräutergarten, die zu unterschiedlichen Zeiten zur Höchstform auflaufen und dank ihrer jeweiligen Einfriedung konkurrenzlos die Aufmerksamkeit auf sich können. 

Das Ehepaar konnte dabei (zumindest in den ersten Jahren) keineswegs auf unbeschränkte finanzielle Mittel zurückgreifen. Der Garten war eine Extravaganz, die sie während ihrer Freizeit erschaffen haben. Die Anfänge auf Sissinghurst waren geprägt von unregelmässigem Einkommen, hohen Ausgaben und einer unsicheren Zukunft. Vitas Anteil aus der Erbschaft nach dem Tod ihrer Mutter löste die wirtschaftlichen Probleme, änderte aber nichts daran, dass sie Geld lieber für den Garten ausgab als für Kleider. Unabhängigkeit und Privatsphäre waren oberstes Gebot und Übernachtungsgäste waren Vita ein Gräuel. 

Die chronologische Zusammenstellung führt über die ersten Jahre auf Sissinghurst, durch die schwierigen Kriegsjahre 1939 bis 1945 und gibt schliesslich Einblick in das erneute Aufblühen des Gartens Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts und thematisiert schliesslich das Schwinden der Kräfte der beiden Besitzer. Von Harold Nicolson ist ein Zitat zu lesen, in dem er sagt, er habe schon immer gewusst, dass Vita ein Werk schaffen würde, das in England seinesgleichen suchen wird. Wo er recht hat, hat er recht. Ob seine Aussage, Blumenzwiebeln stecken sei verjüngend wahr ist, soll jeder selber beurteilen. Meine Lieblingstätigkeit im Garten ist es jedenfalls nicht. Wie wir alle wissen, haben sich Vitas Zweifel, die sie vor Jahrzehnten geäussert hat («ob sich ich fünf Jahrzehnten überhaupt noch jemand dafür – den Garten – interessieren wird?) nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Der mit untrüglichem Gespür geschaffene Garten – «es gibt Sissinghurst-Pflanzen und es gibt Ascot-Pflanzen, die nicht nach Sissinghurst passen», wird schon lange erfolgreich durch den National Trust geführt. Die Chefgärtner wechselten schon einige Male seit dem Tod der beiden Erschaffer und mit jedem jeder Wechsel ging auch mit einer Änderung der Vorlieben und Prioritäten einher. Doch nach wie vor ist der Geist von Vita Sackville-West und Harold Nicolson deutlich spürbar.

Dieses Buch ist gleichzeitig als Hörbuch erschienen, gesprochen von Marit Beyer. Mittlerweile ist der einzige Ort, an dem ich ein wenig Zeit für ein Hörbuch habe, beim Autofahren. Da unser Auto relativ selten bewegt wird und sich auch längst nicht jeder Mitfahrer für Gartengeschichten interessiert, hat das Anhören derselben entsprechend lange gedauert. Aber es hat sich gelohnt. Jedenfalls für mich. Durch die ausdrucksvolle Aufnahme wird mir das Buch mit Bestimmtheit noch länger in Erinnerung bleiben. Und die Nachwuchs-Sofagärtnerin, die gar keine solche sein will, ist als häufigste Begleitung im Auto über sich selber erstaunt – hätte sie doch nie gedacht, dass sie einmal freiwillig sogar lieber Mutters heissgeliebte sardische Band «Tazenda» anhören würde als das «Angebot» der letzten Wochen (na ja, oder zumindest so ähnlich – schliesslich gibt es auch noch unzählige Radiosender, zwischen denen hin- und her gewechselt werden kann…).

In Vita Sackville-Wests Gartenkolumnen lese ich seit vielen Jahren immer mal wieder gerne einzelne Kolumnen. Oft habe ich mich gefragt, ob ihr immenses Gartenwissen allein auf «Learning by Doing» basierte. In diesem Buch habe ich nun (wieder-?)gelesen, dass sie in (- wenn ich das richtig interpretiert habe – fortgeschrittenem Alter) einen Fernkurs für Gartenbau belegt hat. Das hat mich tatsächlich dazu bewogen, meine identischen oder zumindest ähnlichen Pläne nochmals zu überdenken und die vielen schon lange herumliegenden diesbezüglichen Unterlagen von diversen Anbietern wieder einmal durchzugehen. Bereits vor meiner zweijährigen im letzten Herbst abgeschlossenen beruflichen Weiterbildung hatte ich mit dem Absolvieren eines solchen Kurses geliebäugelt und vor einem halben Jahr einen erneuten Anlauf genommen, um dann doch wieder Abstand von der Idee zu nehmen und Überlegungen hinsichtlich einer Webdesign-Ausbildung anzustellen. Nun habe ich mich tatsächlich für einen Fernkurs «Gartengestaltung» angemeldet und bin gespannt, auf die Unterlagen und die Dinge, die da kommen. 

Vita Sackville-West und Harold Nicolson:
Sissinghurst – Portrait eines Gartens (Buch)
Schöffling Verlag, 2017 

Sissinghurst – Portrait eines Gartens (Hörbuch)
gelesen von Marit Beyer
Der Diwan, Hörbuchverlag, 2017

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One thought on “Vita Sackville-West und Harold Nicolson: Sissinghurst – Portrait eines Gartens

  1. Liebe Sofagärtnerin,
    Sissinghurst ist wirklich sehenswert und ich hoffe es auch noch einmal zu sehen unter dem neuen Head Gardener.
    Deine Pläne für einen Kurs in Gartenplanung klingen interessant. Vielleicht läßt Du uns (Deine Blogleser) daran teilhaben.
    Liebe Grüße
    Braunelle

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