Obst und Gemüse vom Grossverteiler, das womöglich durch halb Europa oder fast rund um den Globus gekarrt oder geflogen und mit nicht zu verleugnender Wahrscheinlichkeit vor dem Kauf von verschiedenen anderen potentiellen Käufern atapet und mehr oder weniger sanft zurück ins Gestell befördert worden ist, weckt nicht bei jedem in gleichem Masse die Lust, auf diese Weise, seine täglichen Vitaminportionen zu besorgen. Die einen weichen aus, indem sie direkt beim Produzenten kaufen, andere wählen die Alternative mit dem grünen Daumen und Dreck unter den Fingernägeln.
So spriesst und grünt es seit einigen Jahren aus immer mehr Ritzen und von Fenstersimsen und Balkonen. Selber Gemüse anbauen ist trendy und tatsächlich ist schnell ein Anfang gemacht – probieren geht schliesslich über studieren –, denn für diesen genügen bereits ein paar dem Pflanzenbedarf angepasste Blumentöpfe oder sonstige Behälter mit einem Abzugsloch. Wenn einem aber der Sinn nach Hintergrundwissen steht, bietet sich das Handbuch von Eveline Dudda an. Doch auch wer schon ein paar hortikulturelle Schritte zurückgelegt hat, ist mit dem auf fundiertem, erprobten Wissen basierenden Handbuch «Spriessbürger» ausgezeichnet bedient.
Das umfangreiche Werk, übrigens ausschliesslich in schwarz/weiss gehalten, ist in vier Teile gegliedert: «Vorneweg» gibt eine kurze Einführung und darin Erklärungen zum Wetter, zur Fruchtfolge, zu Pflanzenfamilien sowie Mischkultur und geplantem Anbau. Der zweite Teil enthält, geordnet nach ihrer Zugehörigkeit zu Doldenblütlern, Korbblütlern, Kreuzblütlern oder Gemüse ohne enge Familienbande, ausführliche Pflanzenportraits von Asia-Salat über Kohlrabi und Peperoni bis zum Zuckermais. Auf jeweils mehreren Seiten werden allgemeine Information etwa über Geschmack und Verwandtschaft und über Geschichte, Standortansprüche, Fruchtfolge, Aussaat, Pflanzung, Abstände, Pflege, Pflanzenschutz, Ernte, Lagerung und Sorten gegeben. Optisch unterstützt und aufgelockert werden die Texte durch vergrösserte Fotos von Samen, von Sämlingen und durch oft witzige Schnappschüsse und Zeichnungen. Hier wird mit viel Herzblut Wissen aus eigener praktischer Erfahrung weitergeben – kompetent, aber nicht verbissen. Der immer wieder durchblitzende Humor zeigt sich bereits auf dem Umschlagbild, das eine Gärtnerin mit Salatperücke ziert.
Es gibt Tipps zur Selbstversorgung, zum Pflanzenschutz und man erfährt, wie und wozu eine Unkrautkur durchgeführt wird und welche Lebewesen sich im Boden tummeln, die den Pflanzen und Wurzeln guttun oder eben auch nicht. Ganz nebenbei wird mit verschiedenen Mythen aufgeräumt oder deren Sinn wird bestätigt und immer wieder werden passende Zitate mit hortikulturellem Bezug eingestreut. Welches Gemüse zählt zu den Flachwurzeln, welches zu den Schwachzehrern, wie steht’s mit den Ansprüchen an Temperaturen und an den Nährstoffbedarf? Und haben Sie gewusst, dass die Kohlrabiblätter gesünder sind als die Knolle selber und Microgreen- und Babyleaf-Salatmischungen ganz einfach selber im Blumenkistli angebaut werden können?
Der lesende Gärtner erfährt vom Einfluss des richtigen Aussaattermins auf die Erfolgsquote beim Ernten. Die Schweiz ist zwar flächenmässig klein, aber die klimatischen Bedingungen variieren je nach Region und Höhenlage. Ein Walliser gärtnert nicht unter den gleichen Bedingungen wie ein Rheintaler, was gezwungenermassen gleichbedeutend ist mit der Unzuverlässigkeit der Angaben auf den Samenpäckli. Verlässlicher sind die Natur und die Wechselwirkungen, die sich im phänologischen Kalender widerspiegeln. Die Huflattichblüte etwa zeigt an, dass die Bodentemperatur rund sechs Grad beträgt. Die Pastinakenanzucht beginnt nach der Forsythienblüte und sobald der schwarze Holdunder blüht, können auch wärmebedürftigere Gemüse ins Freiland, weil dann die Frostperioden vorbei sind. Detaillierte Informationen liefert der dem Buch beiliegende Gemüse- und Salatplaner, der sich auch im Internet finden lässt.
Zur Gartenarbeit im Lauf der Jahreszeiten gehört auch das Wissen über die richtigen Anzuchtmethoden. Wann lohnt sich die die Aussaat im Zimmer oder Gewächshaus, welches Gemüse kauft der Gärtner besser in Form von Setzlingen oder welche Samen können direkt ins Freiland? Das Buch liefert auch die Antwort auf die Frage, wie viele Samen und Keimlinge pro Zelle oder Topf in welcher Tiefe ausgebracht werden sollen und wie lange die Zeitspanne zwischen Aussaat und Pflanzung ist.
Ein Gartenbuch ausschliesslich in s/w-Optik polarisiert. Eine nicht repräsentative Umfrage unter einigen Nahestehenden endet mit dem Resultat, dass die Idee als eher gewöhnungsbedürftig empfunden wird. Als langjährigen Leserin von Hortus und Greenprints, die beide in visueller Hinsicht (und nur in dieser) ausschliesslich farblos daherkommen, habe ich persönlich keine Mühe damit. Für mich sind Texte wichtiger als farbige Bilder. Mit ein Grund weshalb ich seit Jahren nahezu uneingeschränkt ohne Bildunterstützung blogge. Der Sofagarten-Hintergrund ist schlicht und einfach in Grüntönen gehalten, weil die verwendete Blogger-Vorlage so ist und diese beim Einrichten am besten zum Bloginhalt gepasst hat und ich immer noch keine Zeit und Lust gefunden habe, mich endlich mit einem moderneren Layout auseinanderzusetzen. Und nebenbei: meine neueste Filmentdeckung ist eine ältere Schrebergarten-Serie in schwarz/weiss; im Internet entdeckt mit dem Stichwort Laubenpieper.
Für eidgenössische Leserinnen und Leser sind die Helvetismen erfrischend. Wo liest man schon mal Floskeln wie «ist Hans was Heiri» oder eben Mundartausdrücke wie herumplämperle, Gluscht oder Gutsch? Für Schweizerdeutsch-Unkundige ist im Anhang ein Vocabulaire eingefügt (atapen = betatschen). Bleibt noch zu erwähnen, dass das inhaltlich und umfangmässig stattliche Buch neben einem Saatkalender-Umrechner durch ein Inhaltsverzeichnis, Glossar, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie eine Liste von Saatgutanbietern in der Schweiz und ein Register ergänzt wird. Und selbstverständlich finden auch Nicht-auf-Schweizer-Boden-Gärtnernde in dem Buch nützliche Tipps und Tricks.
Eveline Dudda:
Spriessbürger – Handbuch für den Anbau von Gemüse und Salat in der Schweiz
Spriessbürger Verlag, 2015