Nele Jacobsen: Ein Sommer im Rosenhaus

Mehltau, Sternrusstau Rosenblütenstecher, Eisenmangel und andere Rosenfeinde gehören ab sofort zu Sandras Leben. Die sechsundvierzigjährige Witwe hat spontan ein sanierungsbedürftiges Gärtnerhaus samt gewaltigem Rosengarten ersteigert. Gewaltig nicht nur wegen der Gartengrösse, sondern insbesondere wegen der Pflanzen, die darin wachsen, wuchern oder nur vor sich hin kümmern. Der seit Jahrzehnten vernachlässigte und dementsprechend verwilderte Garten muss aus seinem Dornröschenschlaf geweckt werden, damit die Rosen rasch möglichst wieder vor Gesundheit strotzen und in weiss, gelb, rosa, rot und anderen Rosenfarben um die Wette blühen und duften. 

Mit dem Erhalt des Zuschlags für ihr Angebot hat sich die ausgebildete Botanikerin eine immense Herausforderung aufgebürdet und entsprechend gross ist auch die Skepsis die ihr entgegenschlägt. Nämlich von ihren erwachsenen Kindern, weil sie als Mutter die Familienwohnung verkauft hat, und von ihren neuen direkten Nachbarn auf Usedom, die einer Städterin nichts Gutes zutrauen. Doch Sandra ist eine Optimistin voller Tatendrang. Ihre bisherige praktische Erfahrung beschränkt sich auf nicht besonders erfolggekröntes Balkonrosengärtnern und sie kennt den Rosengarten von früheren Familienferien nur von ausserhalb des Zauns, doch sie hat immer davon geträumt, ihn eines Tages zu besitzen. Als sie kurz vor Ablauf von dessen Versteigerung im Internet auf dessen Verkauf aufmerksam wird, bleibt nicht viel Zeit zum Überlegen und es gilt: jetzt oder nie. 

Die erste Besichtigung zeigt, dass das Haus ist in einem schlimmeren Zustand ist als erwartet, und so quartiert sich die nun Ex-Hamburgerin im lokalen Hotel ein und beauftragt Handwerker mit der Sanierung, während sie sich konkrete Gedanken um ihre Zukunft und die der Rosen macht. Das erworbene Gärtnerhaus gehörte ursprünglich zum angrenzenden Gut Banketow, das von den Besitzern während dem 2. Weltkrieg Hals über Kopf verlassen werden musste und später enteignet wurde. Ein Familienmitglied hat sich im 19. Jahrhundert den Rosen verschrieben und während dreissig Jahren Rosen aus Europa, Amerika und Asien gekauft, gepflanzt, gepflegt und äusserst erfolgreich selber gezüchtet. Etliche der stacheligen Schönheiten haben zwar die fehlende Pflege nicht überlebt, aber nichtsdestotrotz ist ein enormes brachliegendes (Vermehrungs-)Potential vorhanden. Die frisch gebackene Rosengartenbesitzerin stellt jedoch rasch fest, dass sie für die Bewältigung der vielen Aufgaben im Rosengarten auf fachliche Unterstützung angewiesen ist, und gibt ein entsprechendes Inserat auf. 

Sandra hat keine Ahnung davon, dass in England jemand ebenfalls bei der Auktion mitgeboten, auf den Zuschlag gehofft und eigentlich nicht damit gerechnet hat, überhaupt irgendwelche Mitkonkurrenten überbieten zu müssen. Julian, ein Brite mit deutschen Wurzeln, ist nun dementsprechend enttäuscht, dass ihm der Rosenschatz, auf den er Anspruch zu haben glaubt, durch die Latten gegangen ist. Die Gedanken des alleinstehenden Endvierzigers, der in der Verwaltung eines berühmten englischen Londoner Parks arbeitet, kreisen ständig um diese verpasste Chance und darum, wie er die neue Besitzerin vergraulen könnte. Als er das Stelleninserat entdeckt, scheint ihm ein Job im Rosengarten optimale Möglichkeiten zu bieten, vor Ort seinem Ziel näher zu kommen, und er beschliesst, in Usedom ein Sabbatical zu machen. 

Das Rosenabenteuer läuft für Sandra ganz gut an, denn der angeheuerte Engländer ist zwar ein merkwürdiger Kauz, verfügt aber über einen gut gefüllten botanischen Rucksack. In einem Vertiko entdeckte Unterlagen mit detailgetreuen botanischen Zeichnungen samt Angaben über die einzelnen Rosenstandplätze entpuppen sich als das Rosenarchiv des Theodor von Bantekow, der seinerzeit den Rosengarten angelegt hat. Sandra ist zuversichtlich, anhand dieser Papiere die einzelnen Pflanzen identifizieren zu können und schmiedet bereits Pläne, die eine Rosenschule, einen Schaugarten, einen Shop und einen Onlinehandel beinhalten. Doch bevor sie sich auch nur annähernd konkret an die Umsetzung dieser Träume machen kann, muss sie erfahren, dass das Gut Bantekow mitsamt seinem riesigen Garten in einen Ferienpark für 1350 Gäste verwandelt werden soll. Während die Dorfbewohner über damit neu entstehenden Arbeitsplätze begeistert sind, ist Sandra entsetzt. Doch wie ernst meint sie es eigentlich überhaupt mit der Umsetzung ihrer eigenen Pläne? 

In diesem Roman dreht sich wirklich alles um Rosen: Rosengarten, Rosenschule, Rosenschädlinge, Rosenpflege, Rosenwettbewerb und vieles mehr. Auf den Punkt gebracht: wunderbar unterhaltendes Kopfkino für die lesende (Rosen-)Gärtnerin. Liebend gerne würde frau sich selber nach Usedom oder in ein solches Abenteuer beamen. Für Sandra liegt die Lösung der Probleme näher als zunächst vermutet. Und während die Leserin so ganz nebenbei einiges über Rosenpflege und Okulation erfährt, löst die Rosenromangärtnerin auch noch das Geheimnis um ihre Vorfahrin, deren Name in einer Rose verewigt ist. Dieser Nebenschauplatz des Romans empfand ich dann aber doch als etwas zu viel des Guten.

Nele Jacobsen: 
Ein Sommer im Rosenhaus 
Aufbau Verlag, 2017

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