Seit längerer Zeit ist der fünfzehnjährige David Burke für den Familiengarten verantwortlich. Er erledigt seine Arbeiten sehr gewissenhaft und führt sogar ein Gartennotizbuch, in dem er lateinische Pflanzennamen sortiert nach Blütenfarbe und Blütenzeit einträgt. Aktuell blättert er oft in seiner Enzyklopädie der Stauden, um passende Herbstblüher für den Garten auszuwählen. Aber auch im Internet stöbert er häufig auf hortikulturellen Seiten herum.
Mit der Pflege des Gartens entlastet David seine Mutter, deren Leben sich vollumfänglich um die elfjährige Ivy dreht, die mit schweren multiplen Behinderungen geboren worden ist. Überhaupt wird der Familienalltag allein durch Ivys Bedürfnisse gesteuert, die hilflos wie ein kleines Baby und damit rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen ist. Seit einer Operation vor drei Jahren leidet sie unter zuletzt immer häufiger auftretenden Krampfanfällen und ein weiterer Eingriff ist geplant.
David fühlt sich von seinen Eltern unverstanden. Er kann sich nur an wenige Unternehmungen allein mit Mutter und Vater erinnern und hat häufig das Gefühl, dass ihn seine Eltern nur wahrnehmen, wenn sie ihn für eine Besorgung einspannen wollen. Wenn er mit Ivy unterwegs ist, schämt er sich oft für seine jüngere Schwester oder fühlt sich peinlich berührt. Daneben gibt es aber auch schöne Momente. Ivy liebt Wasser, Regenbogen, durch die Bäume tanzendes Sonnenlicht und sie kichert oft und gern und mag es, ihrem Bruder beim Gärtnern zuzuschauen, etwa wenn er Delphinium von Coreopsis trennt.
Als Ivy in den Ferien beim Schwimmen tödlich verunglückt, verändert sich das Leben der Familie Burke drastisch. Genau zum Zeitpunkt des Unfalls war David mit dem kürzlich ins Nachbarhaus eingezogenen Mädchen Hannah unterwegs und so glücklich wie selten. Davids Gefühle drehen sich im Kreis – Erleichterung vermischt sich mit Schuldgefühlen und der Frage, ob und was Hannah für ihn empfindet. Immer mal wieder hat sich der pubertierende Junge gewünscht, er wäre ein Einzelkind. Nun ist er wieder das einzige (lebende) Kind seiner Eltern und er merkt, dass sich gar nichts geändert hat. Und schon gar nicht zum Besseren. Obwohl David seine Schwester häufig als Belastung empfunden hat, vermisst er sie stark und würde sich gerne für sein ab und zu unrühmliches Verhalten bei ihr entschuldigen.
Dann tauchen von verschiedenen Seiten Gerüchte auf: Davids Vater soll Schuld an Ivys Tod sein. Hat er tatsächlich nicht alles menschenmögliche getan, um seine Tochter während ihrem Krampfanfall im Wasser ans wohl rettende Ufer zu tragen?
Wer entscheidet, wann und welches Leben lebenswert ist? Was, wenn die betreffende Person sich nicht selber ausdrücken kann? Hat Davids Vater tatsächlich Schuld auf sich geladen? Kathy Stinson regt mit diesem Jugendbuch zum Nachdenken an. Sie wirft viele Fragen auf, liefert aber keine Antworten. Eine recht kurze Erzählung, die inhaltlich umso länger bewegt und nachhallt.
Kathy Stinson:
Die Wahrheit über Ivy
cbt, 2014
©2012
ich habe das Buch gelesen und war sehr berührt. Tolle und mit reißende Geschichte!