Die gelernte Gärtnerin Janna und der Landschaftsarchitekt Ben bilden zusammen mit dem dreijährigen Nicki eine glückliche Familie. Bis zu dem Tag vor vier Jahren, an dem die Welt der Familie Steiner von einer Sekunde auf die andere auseinanderbricht, als der Vater seinen eigenen Sohn mit dem Auto überfährt und dieser nach ein paar Tagen seinen schweren Verletzungen erliegt. Die Ehe der Eltern zerbricht in der Folge an gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Nun arbeitet Janna als Verkäuferin an einem Blumenstand in einem Einkaufszentrum. Sie kapselt sich von der Umwelt ab und hat sich vorgenommen, nie mehr ihr Herz an etwas zu hängen. Sie erträgt nicht einmal mehr Topfpflanzen in ihrer spärlich eingerichteten Wohnung und gibt sich mit Origami-Blumen zufrieden, die keiner Pflege bedürfen und nicht verwelken. Hat sie früher mit Freude Staudenbeete gestaltet, ist heutzutage der halbe Quadratmeter auf dem Friedhof vor dem Grabstein, unter dem ihr Söhnchen begraben ist, ihr einziger Garten.
Die junge Frau hadert mit Gott, der nie ihre Fragen beantwortet oder sich rechtfertigt. Da tritt ein Engel namens Manuel in ihr Leben und lässt sich nicht abwimmeln von ihrer Verbitterung, Trauer und ihren Vorwürfen. Er kann Gedanken lesen, löst gerne Kreuzworträtsel und da er Janna schon längere Zeit ohne sich bemerkbar zu machen begleitet hat, ist er genau über ihre Gewohnheiten informiert. Zunächst ist Manuel nur für Janna sichtbar, was gelegentlich zu komischen Situationen führt. Die seltsam angezogene Figur kümmert sich um die trauernde Frau und verwöhnt sie mit gutem Essen und hat das erklärte Ziel, Janna zu überraschen, herauszufordern und zum Lachen zu bringen. Dabei muss er selber einiges einstecken, etwa ein blaues Veilchen der Blumenverkäuferin. Manuel stellt gleich zu Beginn klar, dass er keine Antworten anzubieten hat und Janna diese selber finden muss.
Eines Tages schenkt Manuel Janna ein paar Tulpenzwiebeln. Doch das Geschenk, das Arbeit und Verpflichtungen mit sich bringt, ist zunächst gar nicht willkommen. Janna lässt sich aber überzeugen, mit Manuel ihren lange vernachlässigten Schrebergarten, der in glücklichen Zeiten für zehn Jahre gepachtet worden ist, aufzusuchen, wo wie erwartet die Natur die Parzelle zurückerobert hat und das Unkraut kniehoch wuchert. Gemeinsam beginnen die beiden, Ordnung zu schaffen. Schafft es Janna, die Zwiebeln einzugraben und damit die Grundlagen für einen blühenden Frühling zu legen?
Eine ausserordentlich einfühlsam verfasste Erzählung, in der die Leserin Janna, die glaubt, kein Glück (mehr) zu verdienen, durch ihren schwierigen Trauerprozess begleitet. Angst, Trauer, Einsamkeit und Schuld sind ihre täglichen Begleiter. Zum Alltag nun aber auch der Engel Manuel, der ihr beizubringen versucht, dass Glück weder eine Belohnung noch ein Verdienst ist, der eingefordert werden kann, sondern ein Geschenk. Das Buch mit Kapiteln, die Titel tragen wie „Rosentage“, „Tulipan“ und „Der Garten“ ist nicht nur ein traurig-schönes Leseerlebnis, auch der Buchumschlag ist mit seinen orange-goldenen Tulpen und Buchstaben und leichtem Glitzer eine besondere Augenweide.
Lena Klassen:
Die Sehnsucht der Tulipane
adeo Verlag, 2014
©2012