Jahrzehntelang ist man sich aus dem Weg gegangen. Spannungen haben die früheren Begegnungen geprägt. „Nur ein falsches Wort und der Teufel war im Dach“ erzählt die Mutter. Ein zufälliges Treffen von Vater und Sohn führt schliesslich zum Projekt, mit dem der kürzlich verstorbene Regisseur Peter Liechti seinen Eltern ein filmisches Denkmal gesetzt hat.
Einerseits erzählen die Eltern direkt oder beantworten die Fragen des Sohnes in Dialekt, anderseits sind ihre Gedanken auf Hochdeutsch nachgesprochen, während zwei Hasenmarionetten einem hämisch grinsenden Menschen gegenüberstehen. Im Zeitpunkt der Dreharbeiten war das Elternpaar seit 62 Jahren verheiratet. Trotz (oder wegen?) völlig unterschiedlicher Interessen. An jedem Hochzeitstag wundert sie sich, dass die Lebensgemeinschaft so lange funktioniert hat. Während er sehr kontaktfreudig und häufig unterwegs ist, führt sie ein eher zurückgezogenes Leben, taucht in ihre Bücherwelten ab und hat ihren Frieden im Glauben gefunden. Immer hat sie sich ihrem Mann untergeordnet, damit es keinen Streit gab.
Der Film zeigt stellvertretend das Leben einer Generation wie ich es mir nicht vorstellen könnte. Wiederholtes Kopfschütteln auf meiner Seite. Etwa wenn es heisst, die Frau gehört an den Herd und wer zahlt (und das Geld verdient), befiehlt. Als die Frau die Auszahlung ihres Anteils der AHV-Rente auf ein eigenenes Konto veranlasst, hat der Ehemann ihr das monatelang nachgetragen und sie das auch deutlich spüren lassen. Die Gesundheit der Frau wird der Unversehrtheit der Badezimmerplättli untergeordnet. In diese dürfen unter keinen Umständen zwei Löcher gebohrt werden, um einen Griff anzubringen. Ein weiterer Sturz mit gebrochenen Rippen scheint das kleinere Übel zu sein, als die dann irgendwann notwendig werdende Wieder-Instandstellung der Plättli. Ähnliche Überlegungen gelten für das (Nicht-)Aufhängen der Wohnzimmerlampe über dem Esstisch.
In dieser dokumentierten Annäherung von Vater, Mutter und Sohn erhält der Zuschauer einen tiefen Einblick in das Leben der Eltern, ihre Wurzeln und ihre Gedanken. Immer wieder werden die grossen Unterschiede zwischen dem Ehepaar deutlich und man kommt nicht um die Schlussfolgerung herum, dass eine in jüngerer Zeit geschlossene Ehe aufgrund dieser Basis wohl schon längst geschieden worden wäre. Sehr deutlich kommt aber auch das liebevolle Miteinanderumgehen zum Ausdruck und dass ihre Liebe im Alter wieder grösser geworden ist. Was sie ihm auch sehr oft sagt. Er weniger. Denn Gefühle sind eher Frauensache.
Zwischen diesen Einblicken in das Leben der Eltern sieht man immer wieder den gärtnernden Vater. Auch hier ist seine Prinzipientreue omnipräsent und ich könnte noch einiges in Sachen Gründlichkeit lernen. Die Beete sind unkrautfrei. Die Tomatenstangen aus Holz werden mit dem Abwaschbürsteli gereinigt und angeschrieben, damit sie nächstes Jahr für den gleichen Zweck wieder verwendet werden können. Die Frau gibt freimütig zu, oft auf den Garten eifersüchtig gewesen zu sein, in den er ihrer Ansicht nach vor ihren Ansprüchen geflüchtet ist. Er, 88 Jahre alt, will noch ein oder zwei Jahre weiter gärtnern und versorgt derweilen den Haushalt zur Erntezeit mit Bohnen, Salat und bringt Schnittblumen wie Rosen und Cosmeen nach Hause.
Vaters Garten (DVD) von Peter Liechti
Pelicanfilms, 2014
©2012