Nach ihren beiden früher erschienen Büchern «Das Gemüsebuch» und «Wintergemüse» hat Karen Meyer-Rebentisch nun mit einer Publikation über den Obstgarten die logische Ergänzung veröffentlicht. Mit Obst werden die Früchte und Samen mehrjähriger Bäume und Sträucher bezeichnet, die roh verzehrt werden können. Zu diesen pflanzlichen Lebensmitteln gehören neben dem im Buch behandelten Kern-, Stein- und Beerenobst auch exotische Früchte und Schalenobst wie Nüsse und Mandeln.
Immer mehr Konsumenten geben sich nicht mehr mit dem stark eingeschränkten Supermarkt-Allerlei zufrieden und legen Wert auf eine vielfältige und schmackhafte Obsternte. Sie schätzen die Abwechslung und sind auch bereit, sich dafür zu engagieren, sprich zu gärtnern. Und belohnt für ihre Tatkraft wird nicht nur der Gaumen nach der Ernte, sondern auch das Auge im Frühling, wenn die Bienenweiden um die Wette blühen.
Da die Gärten tendenziell immer kleiner werden, lohnt es sich, vor dem Pflanzen genau zu überlegen, welche Obstspflanzen angeschafft werden sollen. Mit einer gut durchdachten Sortenauswahl kann nämlich der Eigenbedarf an Obst – mit Konservierung – während einem grossen Teil des Jahres gedeckt werden. Selbst auf einer verhältnismässig kleinen Fläche von beispielsweise hundertfünfzig Quadratmetern lassen sich mit geschickter Planung und unter Einbezug von Hauswänden und Grundstückgrenzen etliche Pflanzen unterbringen. Die Autorin weist hier auf Spaliere und Mehrsortengehölze hin.
Neben kulturgeschichtlichen Informationen und Rezepten vermittelt Karen Meyer-Rebentisch in diesem Buch Wissenswertes zu den jeweiligen Obstsarten und hat auch gleich die meisten Fotografien selber beigesteuert. In der bereits bewährten Struktur der Gemüsebücher werden auch hier die Portraits gegliedert nach „Im Garten“, „Sorten“, „Ernten und Lagern“, „In der Küche“ und eben „Rezeptideen“. Von Menschen und ihren speziellen Beziehungen zu Obst handeln die Reportagen, welche zwischen den Obstportraits eingebettet sind.
Während um 1900 weltweit rund 20‘000 Apfelsorten kultiviert wurden, sind es heute nach der Industrialisierung des Obstbaus noch wenige Dutzend. Mit dieser vom Erwerbsgartenbau diktierten Veränderung ging gleichzeitig ein Wandel der Geschmacksgewohnheiten einher. Erreichten viele früher beliebte Apfelsorten ihre Genussreife erst nach Lagerung und mit einer damit verbundenen Mürbigkeit, sind heutzutage knackige Äpfel rund ums Jahr verfügbar und weiche Äpfel wenig gefragt.
Für eine grosse Obstvielfalt engagiert sich der Pomologe Jan Bade, der in der ersten von sechs Reportagen zu Wort kommt. Sein Fachwissen gibt er unter anderem in Schnittkursen weiter und setzt sich unermüdlich ein für das Biotop Streuobstwiese und für das Pflanzen und Erhalten von regional angepassten Sorten, die mit wenig oder ganz ohne Chemie auskommen. Der Tischlermeister Jens Meyer steht mit der gleichen Leidenschaft für seine Obstbäume ein. Er veredelt quasi am laufenden Band Apfel- und Birnensorten und erzählt von Zeiten, in denen die Birne teilweise bedeutender war als der Apfel.
Ein Arbeitsplatz in einem schlecht isolierten Gebäude, aus welchem die Wärme nach draussen dringt, führte einen Professor und Hobbywinzer auf die Idee, einen Weinberg auf einem Uni-Campus anzulegen. Nach Überwindung von etlichen bürokratischen Hindernissen, kann er mittlerweile kübelweise Trauben ernten – sofern er schnell genug ist und die über die Pflanzen gespannte blauen Netze ihren Zweck erfüllen und Langfinger und Vögel vom gleichen Vorhaben abhalten.
Rund ein Viertel der Buchseiten werden von den Kernobstarten Apfel, Birne und Quitte eingenommen, aber auch weniger gängige essbare Nutzpflanzen wie Mispel (Mespilus germanica), Gemeine Felsenbirne (Amelanchier ovalis) und Japanische Wollmispel (Eriobotrya japonica) werden vorgestellt. Zu den Portraits gehören Hinweise auf bewährte Sorten (nicht immer bebildert) mit Angaben über die jeweiligen Vor- und Nachteile und allfällige Anfälligkeit auf Krankheiten. Das Buch gibt Einsteigern einen breit gefächerten Überblick in die verschiedenen in unseren Breitengraden gut gedeihenden Obstspflanzen. Die Sortenempfehlungen sind aus Platzgründen eingeschränkt. Wer sich vertiefter mit dem Thema auseinandersetzen will, findet im Anhang der Publikation eine Literaturliste für weitergehende Informationen und Hinweise zu informativen Webseiten und Links.
Und wer keine Gelegenheit hat, sich eigenhändig als Obstgärtner zu betätigen, aber trotzdem gerne selber Obst ernten möchte, dem sei die Webseite www.mundraub.org empfohlen, auf der über frei zugängliche Obststandorte informiert wird.
Während ich diese Zeilen schreibe, blüht gerade unser Mispelbaum; teilweise immer noch behängt mit der vertrockneten letztjährigen Ernte, die wegen des milden Winters von den Vögeln weitgehend verschmäht worden und auch nicht abgefallen ist. Die problemlos erreichbaren Früchte habe ich im März abgelesen. In anderen Jahren ist für das Wegräumen der Mispeln üblicherweise mehr „Bückarbeit“ angesagt, weil die nicht geernteten Früchte auf den Boden fallen. Tatsächlich mag ich Mispeln nicht essen, aber mir gefällt die Wuchsform des Baumes und die Früchte sind wenn sie mir auch nicht schmecken, sehr hübsch anzuschauen. Da mein Mann früher im Herbst von seinem Arbeitsweg oft Mispeln nach Hause gebracht hat und sie für ihn mit Jugenderinnerungen verbunden sind, habe ich vor Jahren einen solchen Baum gepflanzt. Nicht ahnend, dass Früchte aus dem eigenen Garten nicht so faszinierend zu sein scheinen, wie wild wachsende… Vielleicht hätte ich doch besser einen Apfelbaum gepflanzt? Die appetitlichen Bilder von reifen Äpfeln und ihrer Verwertung in der Küche machen jedenfalls den Mund wässrig.
PS: Meinen Mispelbaum werde ich nicht auf der oben erwähten Internetseite zur freien Ernte ausschreiben und auch kein Schild am Zaun aufhängen, wie das in der Nachbarschaft praktiziert wird. Lieber lasse ich die Früchte am Baum vertrocknen, als mich über einen zetrampelten Cyclamenteppich zu ärgern. Die Baumscheibe erblüht nämlich über mehrere Monate im Jahr mit Cyclamen coum und hederifolium.
Karen Meyer-Rebentisch:
Der Obstgarten – Sortenvielfalt, Rezepte, Reportagen
BLV Buchverlag, 2014
©2012