Haben Sie sich schon mal geärgert, weil Sie hierzulande vergeblich etwas kaufen wollten, das Ihnen im Ausland gute Dienste geleistet hat? Sarah Fasolin wollte nach einem Gartenurlaub in England, in welchem ihr ein Gartenreiseführer nützlich war, ein Schweizerisches Pendant erwerben und musste feststellen, dass ein solcher noch nicht geschrieben worden ist. Kurz entschlossen hat die Gartentexterin diese Aufgabe selber übernommen und während acht Monaten die Schweiz kreuz und quer durchreist.
380 Gärten und Parks hat sie besucht, 300 haben es schliesslich in die Publikation geschafft. Die Reiseroute folgte der Vegetationsentwicklung vom Süden in den Norden und vom Flachland in hügeligere Gebiete bis zum Alpengarten auf rund 2000 Meter über Meer. Die am Foto-Vortrag „Gartenzauber Schweiz“ in der Kartause Ittingen von der Autorin gezeigte Grafik über ihre Reisewege war jedenfalls ausserordentlich beeindruckend.
Alphabetisch vom Kanton Aargau bis zum Kanton Zürich werden die verschiedensten Gartentypen vorgestellt. Auf der vorderen Umschlaginnenseite ist eine Schweizer Karte abgebildet, auf welcher im jeweiligen Kanton die Seitenzahl aufgeführt ist, ab welcher die entsprechenden Kapitel und Kurzportraits zu finden sind. Auf der hinteren Umschlaginnenseite sind die Zeichenerklärungen zu den im Buch verwendeten Piktogrammen. Die einzelnen Kapitel beginnen jeweils mit einer Einleitung, in welcher die Autorin etwa auf geschichtliche Hintergründe oder auf besondere gartenkulturelle Begebenheiten hinweist. Jede Gartenvorstellung wird komplettiert mit Angaben zu den Eigentümern, Adresse, besonderen Attraktionen, Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln usw.
Für die kleine Schweiz mit ihren grossen klimatischen und landschaftlichen Unterschieden hat Sarah Fasolin eine erstaunliche Vielfalt an Gartentypen dokumentiert: einen Panzerhöckergarten, Schlossgärten, Landschaftsparks, Friedhofgärten, Schaugärten, ein Volksgarten, Skulpturengärten, Gemeinschaftsgärten, Alpengärten, Künstlergärten, Museumsgärten, Sammlergärten, Botanische Gärten, ein Medizinal-Pflanzen-Garten und viele andere mehr. Auch im Hinblick auf die Grösse, den Zeitpunkts der Entstehung oder die Bepflanzung der Gärten deckt die Publikation ein grosses Spektrum an unterschiedlichen Gartentypen ab. Im Serviceteil finden sich Hinweise auf wichtige regelmässige Gartenveranstaltungen, ein Index sämtlicher Gärten nach Ortschaften geordnet sowie Literaturhinweise. Für I-Phone-Besitzer ist der trotz seines Umfangs von über 400 Seiten handliche Reiseführer auch als App erhältlich.
Zu entdecken gibt es beispielsweise eine Mini-Welt aus Farnen und Moosen, einen Rosengarten auf über 1200 Meter über Meer, eine grosse Sammlung seltener Stauden und im Garten „Am Ende der Welt“ werden die Pflanzen um ihre Meinung gebeten, wo sie gerne ihre Wurzeln ausstrecken wollen. Ein anderer Garten wartet mit fast drei Dutzend Sitzplätzen auf, während es von einem anderen heisst, es finde sich alle zehn Schritte eine Sitzgelegenheit.
Die einzelnen Portraits sind aus Platzgründen kurz und knapp gefasst und werden oft visuell durch Fotos ergänzt. Immer wieder finden sich auch Informationen zu den Beweggründen, wieso ein bestimmter Gartenstil gewählt worden ist. So soll der Garten ordentlich sein, weil der Schreibtisch stets chaotisch ist und ein anderer Gärtner verrät, dass er einige Pflanzen besonders wegen ihres botanischen Namens mag, derweilen ein Dritter gefüllt blühende rote Leberblümchen in Erinnerung an seine Gotte hegt. In der Südschweiz lassen sich zur richtigen Jahreszeit und nach Voranmeldung eine vom Dalai Lama gesegnete tibetische Magnolie bewundern und ein Exemplar der Magnolie „Princes Margaret“, das von (oder mit Unterstützung) der Namenspatronin gepflanzt worden ist.
Zwischen den Zeilen mag man auch etwas die Vorlieben der Autorin zu deuten versuchen, wenn sie bei der Beschreibung eines Künstlerinnengartens mit umstrickten Bäumen die Grenze von Kitsch und Kunst erwähnt und hin und wieder gibt es einen Vermerk über brachliegendes Potential oder ganz offensichtlich mangelnde Pflege. Noch einiges mehr an persönlichen Erlebnissen und Eindrücken verrät Sarah Fasolin an ihren Foto-Vorträgen. Sie berichtet an diesen Anlässen über die Entstehung des Führers und ihre manchmal berührenden Begegnungen während ihrer hortikulturellen Tour de Suisse.
Mit ihrem Reiseführer beweist Sarah Fasolin, dass Gartenliebhaber nicht unbedingt nach England, Holland oder Belgien fahren müssen – auch hierzulande finden sich viele sehenswerte Gärten. Trotz den verhältnismässig geringen Ausmassen unseres Landes ist man erfahrungsgemäss oft länger als beabsichtigt unterwegs, um ein (Garten-)Ziel zu erreichen. Sei es, weil man sich verfahren oder verlaufen hat oder eben die Wege doch nicht so kurz sind, wie angenommen. Um die jeweiligen Gärten auch in Ruhe geniessen zu können, ist es von Vorteil, sich für einen Tag nicht zu viel vorzunehmen und mit Hilfe des Reisebegleiters gut zu planen. Für den Kanton Luzern findet sich in diesem sogar eine Anleitung zu einer idealen Gartenreise.
Beim Lesen des Führers habe ich festgestellt, dass ich zwar schon etliche der präsentierten Gärten kenne, aber bis anhin trotzdem nur über einen Bruchteil der Gartenwege persönlich gelaufen bin. Schon unzählige Male bin ich am nicht weit von meinem Wohnort gelegenen Schlosspark Andelfingen vorbeigefahren und habe schon oft über diesen gelesen – vielleicht schaffe ich es demnächst dank dem auf Seite 366 im Buch angebrachten Post-it-Zettel, mir diesen mal in Natura anzuschauen.
Sarah Fasolin:
Gartenreiseführer Schweiz
Callwey Verlag, 2014
©2012