Wasserspiele, verschiedene Ebenen, Brücken, Küchengärten, Arkaden, Rosarium – es gibt unendlich viele Gestaltungsmöglichkeiten, die im Garten umgesetzt werden können. Nicht immer ist die Zuordnung der Formensprache so einfach und eindeutig wie beispielsweise in einem Gemüse- oder einem Heilkräutergarten und oft sind auch gleich mehrere unterschiedliche Einflüsse auszumachen.
Lorraine Harrison, die nebenbei bemerkt auch für das englische Gartenjournal Hortus schreibt, hat mit dem von Stefan Leppert ins Deutsche übersetzten Buch „Gärten lesen“ einen Schnellkurs zum Erkennen und Verstehen von gartenarchitektonischen Elementen verfasst. Das Vorwort zu dieser Publikation hat Juliet Nicholson geschrieben, die Enkelin von Vita Sackville-West und Harald Nicholson.
Nach einer Einleitung gibt es ein paar Worte zur Datierung von Gärten und zur Geschichte der Gartenbesucher. Dabei wird auch nicht verschwiegen, dass gerade Gärten wie etwa Sissinghurst oder Great Dixter, die von Besuchern geradezu überschwemmt werden, gewissermassen Opfer ihres eigenen Erfolges sind und jeder Besucher dafür neben dem Eintrittspreis einen zweiten Preis bezahlt. Nämlich den in Form von Mangel an (privater) Atmosphäre und eines nicht ganz perfekten, weil abgenutzten Rasen.
Der Gartentyp liegt im Zweck begründet oder ist zumindest eng damit verbunden. Im ersten Kapitel wird eine Auswahl verschiedener Gartentypen vorgestellt. Darunter sind Islamische Gärten, konzeptuelle Gärten, Sammlungen und Prachtgärten. Themen der folgenden Kapitel sind (die Aufzählungen in Klammern sind nicht abschliessend):
- Gartenstile (Verspielte Gärten, Gärten der Ordnung, Der Künstler im Garten)
- Bäume (Bäume in der Luft, Wurzelkulisse, Früchte und Formenstrenge)
- Blumen und Gehölze (Essbare Gärten, Sumpfgärten, Knotengärten)
- Landschaftselemente (Gartenpuzzles, Schnittkunst, Vielgestaltige Hecken, Senkgärten, Aquatische Extravaganzen)
- Gartengebäude (Düstere Grotten, Fantastereien, Glaspaläste)
- Gartenelemente (Säulen, Vögel und Bienen, Zeitmesser, Gartenmöbel).
Auf jeweils einer Doppelseite erfährt der Leser kurz und bündig das wichtigste zum Thema. Ein ausgewähltes Farbfoto, vier detailgetreue Zeichnungen und ein kurzer Text machen den Leser mit dem entsprechenden Begriff vertraut. Für die Erklärung des „Englischen Landschaftsgartens“ wird beispielsweise ein Foto von Stourhead verwendet und erklärt, dass diese Gartenform eine Reaktion auf die französische und holländische Formenstrenge war. Zeichnungen und Erklärungen zum Aha (landschaftliches Gestaltungsmittel, dass Tiere und ungebetene Besucher ausserhalb des Gartens hält, ohne den Blick nach aussen zu verstellen) und zur Funktion von Wasser, Wegen und Gebäuden in dieser Gartenform komplettieren die Erläuterungen.
Das Buch bietet eine umfangreiche Einführung in das vielschichtige und schwierige Thema, Stile und historische Einflüsse in Gärten zu identifizieren. Als Führer für unterwegs ist das Buch eher etwas schwer und vielleicht in Anbetracht der Gestaltung und Bindung auch etwas schade, aber es eignet sich ausgezeichnet als Vorbereitung auf eine Gartenreise oder einen Gartenbesuch. Denn es lehrt, die Augen für Details offen zu halten und man erfährt so ganz nebenbei allerlei Wissenswertes wie den Unterschied zwischen formalen und informellen Alleen oder einem Arboretum und einem Wald.
Oder man liest von Zierbauten ganz ohne Nutzwert und von Tempeln der Philosophie, die schon als Ruine geplant waren, unfertig gebaut als Sinnbild für das unvollständige menschliche Wissen. Auch Brücken erfüllen nicht immer den Zweck trockenen Fusses von einer Seite des Gewässers ans andere Ufer zu kommen, sondern waren oder sind im Sinne der Gartengestaltung oft nur Scheinbauten, die als Blickfang dienen. Effekt ist und war oft wichtiger als historische Genauigkeit. Die Autorin ermuntert deshalb, Gärten in erster Linie zu geniessen und zu bedenken, dass Veränderungen zum Gärtnern und zu Gärten gehören und mangelnde Stilechtheit und -treue nicht gleichbedeutend mit Vernachlässigung ist.
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden an gewissen Orten Pflanzen besser behandelt, als die Gartengehilfen. Während nämlich letztere oft in einer lausigen, kalten und dunklen Behausung hausten, wurden die exotischen Gewächse mit Wärme und Licht verwöhnt. Und haben Sie gewusst, dass es einmal einen Beruf „Einsiedler“ gab? Diese bezahlten bärtigen Gesellen durften sich nicht pflegen, auch nicht mit den Besuchern sprechen und wohnten in besonderen primitiven Hütten. Zum Jobprofil gehörte das Überraschen der Besucher durch unvermitteltes Hervortreten zwischen Bäumen.
Ein Glossar (ohne Seitenangabe), ein umfangreiches Register sowie Empfehlungen für weiterführende Literatur runden die informative und interessante Publikation ab.
Lorraine Harrison:
Gärten lesen – Gartenarchitektur erkennen und verstehen
Haupt Verlag, 2013
©2012