Warum bei einem Besuch in Zürich nicht einmal die Shoppingmeilen und Museen links liegen lassen und sich auf die Baumwelt konzentrieren? Rund 80‘000 Bäume wurzeln im Stadtzürcher Boden. Walburga Liebst hat 2009 im Haupt Verlag einen Führer zu einer Auswahl von besonderen Exemplaren unter dieser grossen Menge an Gehölzen herausgegeben. Dieser hat auch heute nichts an Aktualität eingebüsst, selbst wenn vielleicht der eine oder andere Baum nicht mehr existieren sollte. Das Wort „besonders“ steht dabei gleichzeitig für einheimisch, exotisch, jung, alt, bekannt und unbekannt.
Die Baumwanderungen führen zwischen Limmat und Schanzengraben, in die Enge, in die Grünanlagen von Wiedikon oder in die Strassen und Gärten von Riesbach, aber auch in andere Quartiere. Zu entdecken gibt es beispielsweise den Rosinenbaum (Hovenia dulcis), die Kakipflaume (Diospyros kaki), den Taubenbaum (Davidia involucrata), den Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum), die Gurkenmagnolie (Magnolia acuminata) oder den Haselnussbaum (Corylus colurna). Das Buch soll laut der Autorin dazu einladen, einen kleinen Teil der Baumschätze zu heben und die unterschiedlichsten Gehölze samt teils überraschenden Eigenschaften kennenzulernen.
So erfährt der interessierte Leser, dass der Name „Japanischer Schnurbaum“ (Sophora japonica) auf einen Irrtum zurückgeht, denn der Baum stammt ursprünglich aus China und Korea. Den Weg nach Japan fand er erst durch den Buddhismus. Zwei schöne Exemplare dieser Spezies stehen am Rand der Pestalozziwiese in unmittelbarer Nähe der Bahnhofstrasse. Und hätten Sie gewusst, dass die Erfindung des Stacheldrahtes den spitzen Dornen des Osagedorn oder Milchorangenbaums (Maclura pomifera) nachempfunden ist?
Weiter berichtet Walburga Liebst, dass in der Schweiz Schwarzkiefern (Pinus nigra) nur in Parks und grossen Gärten wachsen, während diese Bäume in Niederösterreich weit verbreitet sind und dort auch landwirtschaftlich genutzt werden. Bis zu vier Kilogramm Harz können nämlich pro Jahr von einem Baum geerntet werden. So wurden im Jahr 2000 in unserem Nachbarland rund vierzig Tonnen des sogenannten Schwarzkiefernpechs für die Papierindustrie und andere Abnehmer verarbeitet.
Favoriten von Landwirtschaftsarchitekten können sich aus unterschiedlichen Gründen zu unbeliebten Eindringlingen entwickeln. Wegen unerwünscht starkem Fortpflanzungsdrang gehört auch der Götterbaum (Ailanthus altissima) mit seinem jährlichen Triebzuwachs von bis zu drei Metern in diese Kategorie. Auch von der anfänglichen Catalpa-Euphorie ist nicht viel übrig geblieben. Die Catalpa speziosa zieht zwar während der Blütezeit sämtliche Blicke auf sich, doch dauert diese nur sehr kurz. Demgegenüber stehen aufwändige Aufräumarbeiten wegen der vielen grossen Blätter und fast unzähligen Früchte sowie mehrere Monate, in denen das Gehölz kahl und unattraktiv wirkt.
Weiter liest man im Buch über Bräuche. Etwa über den, dass in Norwegen an Weihnachten die Wurzeln von Birken mit Bier oder Met begossen werden. Nicht unbedingt der Samtahorn (Acer velutinum) oder andere Gehölze ziehen im Bleulerpark im Sommer die meiste Aufmerksamkeit auf sich, sondern Glühwürmchen, die auf dem Kräuterrasen leuchten. Leider ist das selten gewordene Naturspektatkel nicht öffentlich zugänglich, da die Parktore zum Schutz der Gehölze nachts geschlossen sind.
Besonders viele spannende Bäume lassen sich im Alten Botanischen Garten entdecken. Angekettete Exemplare sind aber auch dort ungewöhnlich. Erforderlich machten diese Sicherheitsmassnahme kleine Wollemie-Kiefern (Wollemia nobilis), die erst 1994 in einem australischen Nationalpark entdeckt worden sind und von denen zum damaligen Zeitpunkt nur noch ungefähr hundert Exemplare am Naturstandort existierten.
Die Baumportraits sind gespickt mit interessanten Informationen wie (vermuteter) Pflanzzeitpunkt der Gehölze sowie historischen, kulturellen und botanischen Details. Im Glossar werden Nicht-Botanikern Fachausdrücke aus den Texten kurz erklärt und das nach Kapiteln gegliederte Literaturverzeichnis listet umfangreiche Quellenangaben für weiterführendes Lesevergnügen auf. Die Standorte der im Buch erwähnten Bäume sind in einer Tabelle mitsamt Koordinaten, Adresse und der nächstgelegenen Bus- oder Tramhaltestelle aufgeführt. Ein Blüh- und Fruchtkalender rundet die aufschlussreiche, grosszügig bebilderte Publikation ab und zeigt, dass sich auch im Herbst und Winter ein Baumspaziergung durch Zürich lohnt.
Walburga Liebst:
Von Baum zu Baum – Ein Führer zu besonderen Bäumen Zürichs
Haupt Verlag, 2009
©2012