Der 22jährige Ich-Erzähler Arnljótur macht sich mit drei in Zeitungspapier gewickelten Rosenstecklingen einer seltenen Achtblattrose mit Stielen ohne Dornen auf den Weg von Island nach Europa. Die Stecklinge stammen aus dem Treibhaus seiner vor einiger Zeit bei einem Autounfall verstorbenen Mutter. Arnljóturs Ziel ist ein Kloster mit dem „grossartigsten Garten himmlischer Rosen“ mit einer jahrhundertealter Geschichte. Diesen aus dem Mittelalter stammenden Garten hat er als kleiner Junge in einem Gartenbuch seiner Mutter entdeckt und ist immer wieder auf diesen gestossen, denn er wird in sämtlichen Publikationen über Rosengärten erwähnt. Und zwar immer mit den genau gleichen Worten, weil die Autoren mangels neuer Informationen und Fakten einander nur abschreiben. Arnljótur möchte die lange vernachlässigten Rosen dieses Gartens wieder zum Blühen bringen.
Zurück in Island bleiben sein autistischer Zwillingsbruder, der in einem Heim lebt, und Flora Sol, seine kleine Tochter – ungeplante Frucht eines One-Night-Stands mit Anna, der Freundin seines Freundes. Ebenfalls zurück in Island lässt der junge Mann seinen trauernden und fürsorglichen Vater, der es lieber sähe, wenn sein Sohn ein Studium in Angriff nähme, statt in der Erde herumzuwühlen und an Rosenstöcken herumzuschneiden und der fest an eine spezielle Bedeutung glaubt, weil seine verstorbene Frau und Flora Sol am gleichen Tag Geburtstag haben und dieser Tag auch gleichzeitig der Todestag von ersterer ist. Doch der quasi im Treibhaus aufgewachsene Arnljótur möchte weder die Schulbank drücken noch in einem Labor arbeiten, sondern er sucht und braucht den Kontakt mit der Erde.
Der Start in Europa beginnt wenig verheissungsvoll. Heftige Bauchschmerzen entpuppen sich als Blinddarmentzündung, die eine Operation und einen Spitalaufenthalt nötig machen. Doch dann steht der Weiterreise zum Rosengarten nichts mehr im Weg. Das Kloster befindet sich auf einem Felsen. Arnljótur bekommt von den Mönchen freie Hand, den Garten neu zu organisieren und nutzt die einsamen Stunden beim Unkrautjäten und beim Zurückschneiden der Rosenstöcke, um über seine Wünsche und unerfüllten Sehnsüchte nachzudenken. Er lernt eine für ihn neue Sprache und verbringt die Abende häufig mit dem 49jährigen Pater Thomas und die beiden schauen sich gemeinsam Filme an. Als Arnljótur sich eben in sein neues europäisches Leben eingewöhnt hat, tauchen seine Tochter und deren Mutter auf.
Arnljótur wird damit unvermittelt in eine neue Rolle, nämlich die des Vaters, kataputliert und lernt auch Anna (endlich) näher kennen. Der Leser begleitet den jungen Mann durch diese Entwicklung, während der aus der stets als „Mutter meiner Tochter“ bezeichneten Anna fast unmerklich die Freundin wird und schon einmal Eifersucht aufkommen kann. Gleichzeitig werden die fast omnipräsenten Gedanken über Sex, Liebe und Tod durch die neue Verantwortung für seine Tochter etwas in den Hintergrund gedrängt. Schliesslich gilt es kochen zu lernen, sich mit der Kinderbetreuung auseinanderzusetzen und eine Frau zu verstehen und zu begreifen. Die Problemlösung erfolgt zumeist etwas unorthodox durch Filmtipps und das Ausleihen von DVDs von Pater Thomas.
Es ist berührend zu lesen, wie sich Arnljótur um seine Tochter und deren Mutter kümmert, beiden immer näher kommt und sein Herz immer mehr öffnet, bis es auf einmal auch für den Leser beinahe gar nicht mehr so verkehrt scheint, zunächst ungeplant ein (perfektes) Kind zu zeugen und sich erst hernach als Paar kennenzulernen. Das Romanende ist dann aber eher unerwartet, wenn auch überaus passend. Bis zuletzt unklar blieb mir, wo das beschriebene Land und der Rosengarten liegen sollen, hunderte Kilometer vom nächsten Flughafen entfernt. Konkrete Hinweise für den Leser beschränken sich auf die Augen- und Haarfarbe der Einwohner. Sehr lesenswert!
Audur Ava Olafsdottir:
The Greenhouse
Amazon Crossing, 2011
Weiss ich, wann es Liebe ist?
Suhrkamp Verlag, 2011
Liebe Heike
Freut mich, dass dir dieses Buch auch so gut gefallen hat. Es ist eine meiner Lieblingsenteckungen des bisherigen "Garten"-Buchjahres 2012. Und wenn du den Rosengarten gefunden hast, lass es mich bitte wissen … LG
Hallo liebe Sofagärtnerin, das Buch war meine Urlaubslektüre und hat mich sehr berührt. Manchmal könnte man diese Isländer ja schütteln, weil sie so viel denken und so wenig reden 😉
P.s.: diesen wunderbaren Rosengarten würde ich auch gerne finden…
Liebe Grüße von Heike
… das klingt für mich sehr interessant, menschlich, gärtnerisch! Danke für die Rezension! Das Buch werde ich mir wohl besorgen!
Viele Grüße von Renate