Elisabeth Tova Bailey: Das Geräusch einer Schnecke beim Essen

Zu den Büchern, deren Lektüre letztes Jahr einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht haben, zählt ganz bestimmt der Titel „The Sound of a Wild Snail Eating“, den ich am 13. Juli 2011 vorgestellt habe. Die ans Bett gefesselte Journalistin Elisabeth Tova Bailey erzählt darin ihre Geschichte über die Freundschaft zu einer Schnecke. Das Buch erscheint nun Anfang Februar unter dem Titel „Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“ auch auf Deutsch. Unbedingt lesenswert!

Nachstehend nochmals meine damalige ausführliche Buchvorstellung:

Gärtner sind meistens nicht besonders gut auf Schnecken zu sprechen. In Zeitschriften, Büchern und Gartenforen findet man fast unzählige Tipps, wie man (Nackt-)Schnecken davon abhält, Salat, Hostas und andere ihrer Lieblingsfresspflanzen zu vertilgen. Wie kommt es also dazu, dass eine junge Amerikanerin sich intensiv mit „Hüüsli-Schnägge“ beschäftigt und schliesslich ein Buch darüber schreibt?

Zu diesem Zeitvertreib kam Elisabeth Tova Bailey nicht ganz freiwillig. Die sportliche und aktive Frau erkrankte im Alter von 34 Jahren nach einer Europareise durch einen mysteriösen Erreger schwer und blieb in der Folge für lange Zeit ans Bett gefesselt. Jeder Augenblick fühlte sich an wie eine unendliche Stunde. Die Gedanken kreisten immer wieder um die W-Fragen: warum, was, wann und wie? Und immer wieder, wenn sie sich vom Rest der Welt abgeschnitten fühlte, wünschte sie sich, ihren chronisch an Zeitmangel leidenden Freunden von ihrer nutzlosen Zeit abgeben zu können.

Eine Freundin stellt ihr in dieser schweren Phase einen Topf mit einem Ackerstiefmütterchen ans Bett. Zwischen die Blätter hatte sie eine gewöhnliche Waldschnecke (Neohelix albolabris) platziert. Elisabeth Tova Bailey freute sich über diese etwas ungewöhnliche Aufmerksamkeit und wunderte sich gleichzeitig, was sie damit anfangen sollte. Im Gegensatz zu den üblichen Mitbringseln aus Schnittblumen, waren die Stiefmütterchen voll Leben. Die bettlägerige Frau, die früher zeitweise als Gärtnerin gearbeitet hatte, freute sich an dem kleinen Stück Garten neben ihrem Bett, das sie mit ihrem Trinkglas bewässern konnte.

Wie still muss ein Raum sein, dass man eine Schnecke fressen hört? In ihrem berührenden Buch „The Sound of a Wild Snail Eating“ erzählt die Autorin wir ihr eben dieses Geräusch das Gefühl von Gesellschaft und gemeinsam geteilten Raum vermittelte. Dank dem Blumentopf samt Bewohner konnte sie soweit es ihr eben möglich war, Verantwortung für ein Lebewesen übernehmen. Der Topf wurde bald durch ein artgerechtes Terrarium ersetzt und entspannendes „Snail watching“ liess die Stunden schneller verstreichen. Parallel zu ihrer Weichtier-Beobachtung begann die Patientin, sich intensiv mit Schnecken in der Literatur auseinanderzusetzen, was auch Ausdruck im umfangreichen Quellenverzeichnis im Anhang des Buches findet. Elisabeth Tova Bailey entdeckte, dass Schleim nicht nur eklig ist, sondern auch interessant. Und die Amerikanerin fand schliesslich sogar heraus, dass sie wohl die erste Person ist, die ihre Beobachtungen über die Hege und Pflege des Eiergeleges durch eine Schnecke schriftlich festgehalten hat.

Die Schnecke nahm einen wichtigen Platz im eingeschränkten Leben der Autorin ein. So wichtig, dass sie annähernd panisch reagierte, als sie ihren kriechenden Mitbewohner eines Tages nicht mehr im offenen Terrarium entdecken konnte. Während sich diese Sorgen nach dem Auffinden des Ausreissers – er hatte sich für die ans Bett gefesselte Frau unerreichbar versteckt – als unbegründet herausstellten, ist die Autorin auch mehr als fünfzehn Jahre nach ihrer Erkrankung gesundheitlich nach wie vor sehr stark eingeschränkt. Ihre Genesung ist aber soweit fortgeschritten, dass eines Tages der Zeitpunkt kam, an welchem die Schnecken-Beobachtung plötzlich ihre Geduld (über)strapazierte.

Im Rückblick schreibt die Autorin, dass die Schnecke ihr die beste aller Kameradinnen gewesen ist. Sie stellte nie Fragen, die nicht beantwortet werden konnten und sie stellte keine unerfüllbaren Ansprüche. Eine sehr eindrückliche Lektüre, die ganz nebenbei viel Interessantes und Wissenswertes über Schnecken vermittelt! Elisabeth Tova Baileys Schnecke ist übrigens samt Nachkommen längst wieder in der Natur freigelassen worden.

Elisabeth Tova Bailey:
Das Geräusch einer Schnecke beim Essen
Nagel & Kimche Verlag, 2012

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4 thoughts on “Elisabeth Tova Bailey: Das Geräusch einer Schnecke beim Essen

  1. Die Beschreibung des Buches motiviert mich sehr, es auch zu lesen.

    Weinbergschnecken fressen meiner Erfahrung nach jedoch nicht nur totes Material, sondern auch Salat, Erdbeeren und Paprikajungpflanzen!

  2. …. jetzt habe ich das Buch fast durch und ich finde es einfach wunderbar. Gut zu lesen, intelligente, philosophische Gedanken. Schnecken sind ja wirklich interessante Lebewesen, die mich bei dieser Lektüre immer mehr faszinieren. Da die Gehäuseschnecken nur absterbendes Material oder Pilze essen (wie ich in diesem Buch gelernt habe), bin ich als Gärtner jetzt auch uneingeschränkt auf gutem Fuß mit ihnen und kann sie also ohne wenn und aber gern haben. Ein feines Buch und ich danke Dir, dass Du mich drauf aufmerksam gemacht hast!
    Liebe Grüße von Renate

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