Eines meines ersten “grünen” Bücher war “Pflanzenjäger” von Michael Tyler-Whittle. Als meine Bibliothek noch nicht so umfangreich bestückt war wie heutzutage, habe ich es oft hervorgeholt, um darin zu schmökern, und ich habe es auch wiederholt vom Anfang bis zum Ende durchgelesen. Tyler-Whittle war nicht der erste und letzte, der solche Pflanzenjäger-Geschichten aufgezeichnet und veröffentlicht hat, und inzwischen habe ich verschiedene Bücher, die sich der abenteuerlichen Suche nach dem grünen Gold widmen, und diese fesselnden Geschichten zählen noch immer zu meiner Lieblingslektüre.
Vielleicht haben Sie schon einmal von “Chinese Wilson” gehört? Ganz bestimmt kennen Sie verschiedene der von ihm eingeführten Pflanzen, zu welchen der Tauben- oder Taschentuchbaum (Davidia) genauso zählt wie verschiedene Mohngewächse. Der gelernte englische Gärtner Ernest Wilson fuhr Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal für die Firma Veitch nach China, um botanische Schätze aufzuspüren und in die Heimat zu schicken.
Um die Königslilie aus einem abgelegenen Bergtal nach Europa zu bringen, musste er grosse Strapazen überstehen und setzte sein Leben aufs Spiel. Auf einem schmalen Pfad löste sich nämlich ein Felsstück und verletzte ihn schwer am Bein. Mit Hilfe seines Photostativs schiente er dieses notdürftig, da kam seiner Gruppe ein Maultierzug entgegen. Die rund fünfzig Maultiere konnten auf dem engen Weg nicht wenden, aber auch nicht warten, bis sich Wilsons Leute an ihnen vorbei gezwängt hatten, weil ständig herabfallende Steine ein neues Unglück anzukünden schienen.
Die einzige Lösung schien darin zu bestehen, dass sich Wilson quer zum Pfad auf den Boden legte. Und genau so wurde das Problem auch gelöst. Ein Maultier nach dem andern stieg über ihn hinweg. Obwohl die Tiere trittsicher waren, kann sich jeder vorstellen, was für eine Tortur dieses Erlebnis gewesen sein muss. Nach einem mehrtägigen Marsch erreichte Wilsons Gruppe den nächsten Missionsposten. Inzwischen war sein doppelt gebrochenes Bein stark entzündet und sollte amputiert werden. Der Pflanzenjäger weigerte sich, und tatsächlich ging die Infektion zurück. Das verletzte Bein blieb aber verkürzt, und er bezeichnete seine Gehbehinderung als “Liliengehumpel”. Ein hoher Preis für die siebentausend Lilienzwiebeln. Doch Wilson war der Meinung, er habe sich gelohnt.
Diese und viele weitere Geschichte sind im Buch “Pflanzenjäger” nachzulesen. Das Buch berichtet von vielen erfolgreich eingeführten Pflanzen. Die Pflanzenjagd war aber nicht zwingend ein lukratives Geschäft, sondern ein überaus gefährliches Unternehmen. Nicht wenige dieser unerschrockenen Männer haben ihre Sammelleidenschaft mit dem Leben bezahlt. Auch wurden viele Pflanzen an ihren Naturstandorten in solch riesigen Mengen geplündert, dass der Bestand dort gefährdet zurückblieb oder gar ausgerottet wurde. Teilweise haben die Sammler sogar gewisse Gebiete absichtlich angezündet und Pflanzenbestände am Naturstandort vernichtet, damit ihnen kein Konkurrent mit der Einführung der grünen Schätze in der Heimat zuvorkommen konnte.
Der spannende Titel ist nur noch antiquarisch erhältlich. Auf englisch ist letztmals in den 90er-Jahren eine Ausgabe dieses Buches erschienen.
Michael Tyler-Whittle:
Pflanzenjäger
Prestel Verlag, 1971
The Plant Hunters
William Heinemann Ltd, 1970